Sommermond
sich bitte mit unserem Anwalt in Verbindung!“ Kaum, dass er ausgesprochen hatte, steckte er seinen Ausweis ein und zog stattdessen ein zusammengefaltetes Schreiben aus seiner Anzugtasche.
Der Polizist nahm den Wisch entgegen und warf einen kurzen Blick darauf.
„Alles klar“, wiederholte er sich dann. „Sie dürfen gehen.“
Jo senkte den Blick. Erst nach einigen Sekunden des Schweigens wandte er sich an Alex und schob ihn mit sanfter Gewalt in Richtung Ausgang.
Alex wusste nicht, was er sagen sollte. Er war seinem Vater dankbar für dessen Unterstützung. Sagen konnte er das allerdings nicht. Zwischen ihm und Jo war in letzter Zeit zu viel vorgefallen, als dass er sich einfach so bei ihm bedanken konnte. Um etwas Zeit zu schinden, warf er sich seine Jacke über und zog den Reißverschluss zu. Jo schritt wortlos voran. Alex folgte ihm. Schon von weitem sah er, dass Jo nicht mit seinem eigenen Auto, sondern mit dem von Alex gekommen war. Vermutlich hatte er sich auch in diesem Punkt um alles gekümmert. Immerhin hatte sich Alex‘ Wagen am Tatort befunden und wäre ohne Jos Einfluss nicht so leicht herausgegeben worden.
Der Bürgersteig war glatt. Durch die Sonne begann der viele Schnee zu schmelzen und wurde dadurch zu einer matschigen Masse, durch die sich prielförmige Wasseradern schlängelten. Nur ein paar Schritte weiter kamen sie an Alex‘ BMW an. Jo öffnete den Wagen und stieg ein. Alex tat es ihm gleich. Nachdem Jo den Schlüssel in die Zündung gesteckt hatte, lehnte er sich erst einmal zurück und atmete tief durch. Mit beiden Händen fuhr er sich übers Gesicht und sah dabei müde und alt aus. Alex mied jeglichen Blickkontakt. Er fühlte sich miserabel. Im Grunde hatte er genug Fragen, die er seinem Vater stellen wollte, doch traute sich kein einziges Wort über seine Lippen.
„Alex“, begann Jo, „Alex, ich weiß, dass du unschuldig bist.“
Dem Blonden stockte der Atem. Er hatte mit allem gerechnet, aber nicht mit derartigen Worten seines Vaters und damit der Person, die ihn seit Jahren deutliche Verachtung zu spüren gegeben hatte. Endlich hob er seinen Kopf und blickte kritisch zu Jo auf.
„Bitte?“, hakte er ungläubig nach.
„Ich weiß, dass du viel Mist baust“, fuhr Jo fort. „Ich weiß aber auch, dass du niemals dazu in der Lage wärst, jemandem etwas anzutun. Dafür bist du erstens zu feige und zweitens …“ Seine Stimme brach ab.
Alex horchte erwartungsvoll, doch sein Vater sprach nicht weiter.
„Ist klar, dass du mir glaubst“, sagte er. „Es gibt ja auch Augenzeugen, die mich verteidigen. Ohne die würdest du mich für schuldig halten. Darauf wette ich.“
„Nein, verdammt!“, entgegnete Jo. Die Falten in seinem Gesicht stachen streng hervor. „Du …“ Doch wieder stockte er, bevor er ausgesprochen hatte. „Ben wird denen schon klarmachen, dass du unschuldig bist.“
Alex beobachtete seinen Vater und wurde unsicher. Er sah, wie Jo seine Hand hob und sie nach dem Schlüssel ausstreckte. Dann, wie er den Motor startete und schließlich losfuhr. Er selbst wusste nichts mehr zu sagen. Stattdessen wandte er sich zur Seite und begann gedankenverloren aus dem Fenster zu starren. Er fragte sich, wie es Ben ging und sehnte sich nach dessen Nähe. Doch das konnte er seinem Vater kaum sagen. Bei dem letzten Versuch, Jo an seiner neuartigen Gefühlswelt teilhaben zu lassen, hatte er eine herbe Ohrfeige geerntet. Das ganze Thema war schwierig. So schwierig, dass Alex es für besser hielt, zu schweigen.
Unterdessen überquerten sie eine Kreuzung und bogen links ab. Die heranwachsende Stille im Auto wirkte erdrückend. Wieder begann Alex sich nach einer Zigarette zu sehnen, doch gleichzeitig wagte er es nicht, sich zu bewegen. Er wollte ohnehin mit dem Rauchen aufhören. Das war längst überfällig.
„Wie wäre es wohl ausgegangen, wenn Ben nicht hinzugekommen wäre?“, brach Jo das Schweigen.
„Was?“ Alex Stimme klang höher als üblich. Er verstand die Frage nicht und wusste nichts darauf zu erwidern.
„Du hast mich schon verstanden“, erwiderte Jo trocken.
„Ich … Ich … Keine Ahnung“, stammelte Alex und kam sich dabei übertrieben hilflos vor. „Warum willst du das wissen?“
Jos Hände umfassten das ledernde Lenkrad noch fester. Dadurch wurde jegliches Blut aus seinen Fingern gedrängt. Sie wurden ganz weiß und knochig.
„ Ich habe ihn zu dir geschickt“, erklärte Jo.
Mehr sagte er nicht. Doch der Klang seiner Stimme ließ daraus
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