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Vom Liebesleben der Stechpalme: Roman (German Edition)

Vom Liebesleben der Stechpalme: Roman (German Edition)

Titel: Vom Liebesleben der Stechpalme: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Kolenda
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1.
     
    Es war ein sonniger Junitag. Draußen.
In meinem Büro ›Valeska Lem, Slawische Sprachen. Übersetzung und Beratung in allen
Lebenslagen‹herrschte düsterer Spätherbst. Für das Souterrain eines Berliner
Hinterhauses galten nun einmal andere Jahreszeiten. Ich saß mit Wollmantel und Stiefeln
am Schreibtisch und sortierte die Post. Der Stapel unbezahlter Rechnungen schoss
in die Höhe, meine Stimmung sank immer tiefer. Der Blick aus dem Fenster gab mir
den Rest. Im Hintergrund die Mülltonnen, direkt vor meinen Augen die kräftigen Waden
meines Vermieters, der vor meinem Bürofenster hin und her spazierte. Sein neuester
Einfall, um mich an die fällige Miete zu erinnern.
    Unverhofft
ging die Tür auf und Herr Pech, Herausgeber der Zeitschrift ›Reisen mit Herz‹, trat
ein. Vorab lobte er die elegante Schrift meiner frisch gedruckten Visitenkarte.
Die blauen Gardinen fand er auch sehr hübsch. Blau sei die Farbe der Ferne, der
Sehnsucht, meinte er und lächelte mich an . Dannlegte er ein Manuskript
auf meinen Schreibtisch und tippte mit dem Finger auf das Deckblatt mit dem Titel
›Reisetagebücher des Piotr Raczyski, genannt polnischer Casanova, durch die schlesische
Provinz‹.»Liebe Frau Lem, ich bin enttäuscht«, sagte er.
    »Gefällt
Ihnen meine Übersetzung nicht?«
    »Aber nein!
Die zehn Seiten, die Sie übersetzt haben, sind gut. Sprachlich einwandfrei. Die
Abenteuer dieses jungen Mannes selbst sind …«, Herr Pech zwirbelte seinen Schnurrbart
hoch und sah mich bekümmert an, »… sind zu nüchtern.«
    »Das ist
nicht Ihr Ernst?«
    »Oh doch!«
    Er schlug
das Manuskript auf und las laut vor: »›Januar 1820. Montag, Dorfkneipe bei Danzig
– Wodka, Salzhering, die dicke Magd. Dienstag, Schenke in der Stadt – Wein, Wodka,
Kosakentanz mit Major Palikot und seinen Offizieren. Mittwoch, Herrenhaus der Familie
K. in Pommern – Rotwein, Weißwein, zwölf Flaschen Sekt, Fürstin Sofija oder auch
ihre Nichte Maria. Wohl möglich, dass alle beide. Oder Major Szarycki? Donnerstag,
Bärenjagd verschlafen. Am Abend Wasser und nur zwei Flaschen Rotwein …‹«
    Herr Pech
schob die Seiten weg und wischte sich mit einem Taschentuch Schweißtropfen von der
Stirn. »Nur trockene Fakten. Und wo bleibt, bitte schön, das Gefühl? Wenn ich Sie
richtig verstanden habe, liebe Frau Lem, geht das unverändert so weiter über 200
Seiten.«
    »Falsch.
Später bereist der polnische Casanova zusammen mit Mischa Strogonoff die russische
Provinz, und da geht’s richtig zur Sache. Da werden Herz und andere Körperteile
tüchtig bewegt.«
    »Oh nein«,
er stöhnte. »Die Leserinnen meiner Zeitschrift werden das nicht verkraften. Frau
Lem, keine weitere Zeile. Keine Übersetzung.«
    Frustrierte
Verleger, die keine Arbeit für mich haben, machten mich wütend. Ich stand auf. »Herr
Pech, Sie können mich …«
    »Moment
mal, Frau Lem, ich habe einen neuen Auftrag für Sie.«
    Widerwillig
setzte ich mich hin. »Ich höre.«
    »Schreiben
Sie über Polen. Nicht das übliche Zeug über die heimische Flora und Fauna oder die
lokalen Bräuche, sondern eine knackige, eine prickelnde … Nein!«, er brach ab und
sah mich streng an. »Nicht dass Sie mich falsch verstehen. Keine Erotik und keine
Fantasy. Ich meine nette Geschichten rund um die Liebe.«
    »Mir wird
nichts Nettes einfallen. Zwei Wochen nach meiner Scheidung.«
    Herr Pech
pumpte Luft in seine Lungen und redete lange auf mich ein. Die Worte ›Unglück‹,
›Wunder‹ und ›Liebe‹ kamen sehr oft vor. Ich gähnte und schaute gelangweilt aus
dem Fenster. Plötzlich tauchten, dicht dahinter, erneut die behaarten Waden meines
Vermieters auf. Wie zwei krumme, mahnende Ausrufezeichen. Mit neu erwachtem Interesse
sah ich zu Herrn Pech: »Zahlen Sie einen Vorschuss?«
    »Ja.«
    »Und übernehmen
die Reisekosten?«
    »Wo wollen
Sie denn hin, liebe Frau Lem?«
    »Nach Polen,
selbstverständlich. Sie erwarten doch nicht, dass ich hier am Schreibtisch, mit
diesem fürchterlichen Ausblick, imstande bin, auch nur eine Zeile zu schreiben.
Und außerdem muss ich nachforschen. Sie wollen wahre Geschichten, kein ausgedachtes
Nullachtfünfzehn-Gesülze, oder?«
    In seiner
Stimme schwang kein Hauch von Begeisterung mit. »Na gut. Sie müssen aber sofort
aufbrechen.«
    »Gerne,
Herr Pech. Ich werde Ihnen viele spannende Liebesgeschichten liefern.«
    »Das hoffe
ich. Ich erwarte Ihre erste Story spätestens nächste Woche. Und das Wichtigste«,
er beugte sich zu mir herüber, »Frau

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