Sterblich

unterzogen, und danach dürfte ich einigermaßen up to date sein, wie es in dem Fall weitergeht. Ich behalte Indrehaug im Blick. Heidi meinte, du hättest das Gefühl, dass die Polizei sich demnächst von Marhoni als Hauptverdächtigem distanzieren wird?«
    Er flucht innerlich, während Gundersen ein Fenster öffnet.
    »Ja, das glaube ich.«
    »Und warum?«
    »Einfach aufgrund der Faktenlage«, antwortet er kurz. Vielleicht ist es noch zu früh, um unbeantwortete Fragen weiterzuverfolgen, außerdem scheint Gundersen mehr als genug damit zu tun zu haben, sich auf eine Sache zu konzentrieren, zuerst Zeitung lesen, dann Kaffee trinken, danach noch ein paar andere Zeitungen lesen, wieder Kaffee trinken, bis irgendwann der Kopf wieder in der richtigen Position ist.
    »Und das bedeutet?«, sagt Gundersen und schlürft einen ersten brühheißen Schluck. Henning hält die Luft an und überlegt, wo er anfangen soll. Ein Piepsen von Gundersens Handy rettet ihn. Er öffnet die Mitteilung, liest sie und zieht die Nase kraus.
    »Weißt du, wer Foldvik ist?«, fragt er.
    »Foldvik?«
    »Ja. Yngve und Ingvild Foldvik?«
    »Ja, weiß ich«, sagt Henning und kann mit Mühe seinen Atem kontrollieren. »Sie arbeiten beide an der Schule, auf die Henriette Hagerup gegangen ist. Wieso?«
    »Ich habe gerade einen Hinweis bekommen, dass die Polizei etliche Leute mobilisiert hat, um sie zu finden.«
    »Was meinst du mit sie zu finden ? Sind sie verschwunden?«
    »Sieht so aus.«
    »Bist du dir sicher?«
    Er springt vom Stuhl auf. Gundersen schnauft.
    »Ich lese nur vor, was hier steht.«
    Henning geht so schnell an ihm vorbei, wie seine Beine es zulassen.
    »Was ist denn los?«, fragt Gundersen. Die Verunsicherung in seiner Stimme ist nicht zu überhören, aber darum kann Henning sich jetzt nicht kümmern. Er hat keine Zeit. Er läuft eilig nach draußen, setzt sich auf seine Vespa und knattert in Richtung Westerdals School of Communication davon.

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    Natürlich kann es dafür eine ganz natürliche Erklärung geben, denkt er, als er von der Urtegata abbiegt. Vielleicht brauchten die Foldviks einfach ein bisschen Abstand, um ihre Trauer und ihre Gefühle gemeinsam zu bearbeiten, ohne irgendwen sonst um sich herum. Es kann sehr hilfreich sein, etwas Distanz zwischen sich und eine solche Tragödie zu bringen.
    Er peitscht seine Vespa an, biegt in die Hausmanns gate ein und schießt bei Gelb über die Ampelkreuzung. Eine dunkelhaarige Frau, die einen Kinderwagen vor sich herschiebt, fuchtelt mit geballter Faust hinter ihm her und ruft ihm etwas nach, das er nicht mitbekommt. Ihr Zorn ist im Rückspiegel aber deutlich zu erkennen.
    Und noch etwas sieht er da. Ein Taxi. Selbst spiegelverkehrt erkennt er den Buchstaben und die vier folgenden Zahlen.
    A2052.
    Omar Rabia Rashid oder jemand, der für ihn fährt. Die dunkelhaarige Frau bedenkt auch den silbergrauen Mercedes mit ihrer Faust, als das Taxi hinter ihm her über die Kreuzung fegt, ohne jemanden zu verletzen.
    Bevor Henning einen klaren Gedanken fassen kann, biegt er jäh nach links in die Calmeyers gate ab, gibt Gas und jagt an einem Lastwagen vorbei, der im Leerlauf vor einem Thai-Laden parkt. Er ignoriert die Vorfahrtregelung an der nächsten von rechts einmündenden Straße und stellt fest, dass er dort nicht wie geplant abbiegen kann, weil es eine Einbahnstraße ist. Da kein Auto zu sehen ist, wirft er alle Skrupel über Bord und biegt dennoch nach rechts ab. Ein Fußgänger ruft ihm etwas nach, aber er kümmert sich nicht darum. Sollte sich hier zufällig irgendwo die Polizei aufhalten und seine regelwidrige Fahrweise beanstanden, wird er sich gerne von ihnen anhalten lassen und sie auf die Typen hinter sich aufmerksam machen.
    Kurz darauf ist er in der Torggata. Rechts und links parken Autos dicht an dicht. Eines von ihnen ist gelb, nicht einmal jetzt entgehen ihm gelbe Fahrzeuge. Als er den freien Radweg sieht, fährt er mit Schwung darauf, gibt Gas und wäre um ein Haar mit einer Möwe kollidiert, die wenige Zentimeter vor ihm aufflattert. Er überprüft im Spiegel, ob der Mercedes ihm noch folgt, kann ihn aber nicht sehen. Vor einem Zebrastreifen muss er eine Vollbremsung machen, um ein paar Passanten vorbeizulassen, die einfach blindlings über die Straße gelaufen sind, ohne sein Kommen zu beachten. Am liebsten würde er hupen, stattdessen gibt er Gas, bis er vor einer roten Ampel halten muss.
    Es dauert eine Ewigkeit, bis die Ampel umspringt, sodass er überlegt, einfach