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Stern der Ungeborenen

Stern der Ungeborenen

Titel: Stern der Ungeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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dann hörte ich meinen eigenen, abgespannten Seufzer:
    »Tu was du willst … Ich muß ja mit allem einverstanden sein.«
    Diese meine Worte klangen ziemlich jämmerlich. Sie verschafften mir aber die Erleichterung, die ein Tourist empfindet, wenn er die Einteilung seines Tages in die Hände eines bewährten Reisemarschalls legt.

Drittes Kapitel
    Worin ich am Schluß ein neuartiges Mittel der Fortbewegung kennen lerne.
    Nach diesem Gespräch, das mir sehr kurz erschien, begann ich, die Gegend, wo wir uns befanden, schärfer ins unsichtbare, aber sehende Auge zu fassen. Ohne Zweifel, wenn auch sonderbarerweise, hatten B. H. und ich, zwei Städter durch und durch, einander auf dem flachen Lande begegnet. Es war das flachste Land, das ich je erblickt, und es schien zu alledem auch noch ein ganz unbewohntes Land zu sein. Nicht die geringste Andeutung einer städtischen oder dörflichen Siedlung, soweit die Sehkraft reichte. Keine Baulichkeit irgendwelcher Art hob sich von der glatten Ebene ab, keine Tankstelle nah oder fern, kein Wasserrad, ja nicht einmal eine jener großen Reklametafeln, wie sie sonst selbst die einsamsten Wüstenstrecken flankieren. Die Empfindung aber, auf einer Straße zu stehn, konnte ich trotz der unbeschränkten und unparzellierten Ödigkeit ringsum nicht loswerden. Der dichte, wundersam kurz gehaltene, eisengraue Graswuchs, der den Erdboden ununterbrochen bedeckte, konnte nur auf menschliche Pflanzung und Pflege zurückzuführen sein. Der ganze Umkreis, von Horizont zu Horizont, war gewissermaßen Landstraße, eine Straße, anstatt mit Asphalt, mit diesem trauerfarbenen Teppich für Lustwandelnde belegt, eine Straße ohne die leiseste Erinnerung an einen Verkehr und dennoch so, als sei sie irgendeinmal von einem schier unermeßlichen Verkehr verlassen worden, damals, als tausend Reihen von Blitzgefährten nebeneinander in beiden schnurgeraden Richtungen hin und zurück rasten. Erst allgemach erkannte ich, daß die Glätte und Ödigkeit der Gegend nicht so ununterbrochen war, wie ich zuerst vermutet hatte. In großen Abständen offenbarten sich meinem Auge, das sich der völligen Unvertrautheit dieser Welt erst langsam anpassen mußte, größere Baumgruppen, oder richtiger Baumhaufen, denn so dicht waren sie gesetzt, daß sie keine Lücken und Scharten aufwiesen und widernatürlich kompakt wirkten. Diese Bäume – es brauchte einige Zeit, ehe ich in ihnen Bäume erkannte – waren alle gleichartig und ziemlich niedrig. Ihre starren Kronen wurden von ledrigem und beinahe schwarzem Laub gebildet, aus welchem große wächserne Blüten hervorleuchteten, deren gelblichem Weiß verschiedene Andeutungen von Farbe zugemischt waren. Ich hatte ähnliche Gewächse nie gesehn. Es fiel mir sofort auf, daß diese Baumhaufen, sofern sie irgendein Leben überwölbten, ein zartes und wehleidiges Leben hüten mußten.
    Der Himmel war wolkenlos und glich in seiner tiefblauen Vereinsamung dieser grauen Erde hier unter seinem Bogen. Vermutlich war die Tageszeit ziemlich fortgeschritten, denn der Sonnenball, der mir etwas röter erschien, als ich ihn in Erinnerung hatte, warf schiefe, aber grelle Strahlen und erzeugte eine Temperatur, die man kalte Hitze oder heiße Kälte hätte nennen können. Obwohl mich das Bedürfnis nach dunklen Brillengläsern erfaßte, fror mich zunehmend, trotz meiner unsichtbaren Körperverfassung.
    Ich sah B. H. fragend an, vielleicht sogar ungeduldig. Sofort erriet er meine Gedanken. Er hatte eine Art, meine Gedanken zu erraten, die mir sehr unbehaglich war. War das Tibet, fragte ich mich, oder sollte es die Errungenschaft einer Menschheit sein, die sich längst nicht mehr in ihren Anfängen befand? Zu dem verlegenen Nacktheitsgefühl meiner Unsichtbarkeit trat somit die furchtsame Scham hinzu, mein Denken, Wünschen, Planen, meine Zustimmung, meine Ablehnung, meine Zweifel und meine Kritik nicht völlig verbergen zu können.
    »Unser Rendezvous«, sagte er, ohne meine Frage abzuwarten, »spielt sich in California ab.«
    »Wie das, B. H.«, gab ich zurück, ohne eine Anwandlung raschen Ärgers verwinden zu können. »California kenne ich. Dort hab ich gelebt. Dort lebe ich vielleicht noch immer, trotz deiner merkwürdigen Theorie über mich und mein Totsein (übrigens erinnere ich mich nicht, dir ein Rendezvous gegeben zu haben). Hättest du mir gesagt, wir befänden uns hier im Mittelwesten des Kontinents, dort wo einst die endlosen Prärien sich dehnten, ich hätte dir ohne

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