Fluch des Wolfes: Alpha & Omega 3 - Roman (German Edition)
Prolog
E s war einmal ein kleines Mädchen namens Leslie.
In dem Jahr, in dem sie acht wurde, passierten in ihrem Leben zwei Dinge: Ihre Mutter verließ Leslie und ihren Vater, um mit einem Börsenmakler nach Kalifornien zu ziehen; und mitten in einem sensationellen Mordprozess enthüllte das sagenumwobene Feenvolk aus den Märchen der Welt seine Existenz. Von ihrer Mutter hörte Leslie nie wieder etwas, doch beim Feenvolk war das anders.
Als sie neun Jahre alt war, nahm ihr Vater eine Stelle in einer fremden Stadt an. Sie zogen aus dem Haus, in dem Leslie aufgewachsen war, in eine Wohnung in Boston, wo sie die einzigen Schwarzen in einer sonst ausschließlich weißen Nachbarschaft waren. Ihre Wohnung lag im obersten Stockwerk eines schmalen Hauses, das Mrs. Cullinan gehörte, die im Erdgeschoss wohnte. Mrs. Cullinan passte auf Leslie auf, während ihr Vater arbeitete, und ihre stillschweigende Unterstützung erleichterte es Leslie, mit den Nachbarskindern in Kontakt zu kommen, die auf Kekse oder Limonade zu Besuch kamen. Unter Mrs. Cullinans kompetenter Aufsicht lernte Leslie Häkeln, Stricken, Nähen und Kochen, während ihr Dad das Haus und den Rasen der alten Frau perfekt in Ordnung hielt.
Selbst als Erwachsene war Leslie sich nicht sicher, ob ihr Dad die alte Frau bezahlt hatte oder ob diese sie ohne Absprache unter ihre Fittiche genommen hatte. Das hätte sie Mrs. Cullinan durchaus zugetraut.
Als Leslie in der dritten Klasse war, verschwand ein kleiner Junge aus dem Kindergarten. In der vierten Klasse verschwand eine ihrer Klassenkameradinnen, ein Mädchen namens Mandy. Im selben Zeitraum wurden auch viele Haustiere vermisst– überwiegend Kätzchen und junge Hunde. Nichts davon hätte Leslies Aufmerksamkeit erregt, wäre nicht Mrs. Cullinan gewesen. Auf ihren täglichen Spaziergängen (Mrs. Cullinan nannte sie » Kontrollbummel« und gab offen zu, dass sie herausfinden wollte, was die Leute in der Nachbarschaft so trieben) hielt die alte Dame vor Suchplakaten an Laternenpfählen und Ladenfenstern an, um dann ein kleines Notizbuch herauszuziehen und alle Informationen abzuschreiben.
» Suchen wir nach verlorenen Tieren?«, fragte Leslie schließlich. Überwiegend lernte sie durch Beobachtung und nicht durch Fragen, da die Leute ihrer Erfahrung nach besser mit Worten logen als mit Taten. Aber sie hatte keine gute Erklärung dafür gefunden, was mit den vermissten Haustieren geschehen sein konnte, und schließlich musste sie doch versuchen, mithilfe von Worten dahinterzukommen.
» Es ist immer gut, die Augen offen zu halten.« Das war keine richtige Antwort, aber Mrs. Cullinan klang besorgt, also hakte Leslie nicht weiter nach.
Als Leslies Geburtstagswelpe– ein Mischling mit braunen Augen und großen Pfoten– plötzlich verschwand, presste Mrs. Cullinan die Lippen zusammen und verkündete: » Es ist Zeit, dem ein Ende zu machen!« Leslie war sich ziemlich sicher, dass ihre Vermieterin nicht wusste, dass sie sie gehört hatte.
Ein paar Tage später aßen Leslie, ihr Vater und Mrs. Cullinan gerade zu Abend, als eine schicke Limousine vor Miss Nellie Michaelsons Haus hielt. Aus den dunklen Tiefen des glänzenden Wagens stiegen zwei Männer in Anzügen und eine Frau mit einem weiß geblümten Kleid, das zu sommerlich und luftig wirkte, um zu ihren Begleitern zu passen. Die Männer waren für eine Beerdigung gekleidet, sie dagegen für ein Picknick im Park.
Leslies Vater und Mrs. Cullinan verließen den Tisch, um unverhohlen aus dem Fenster zu starren, während die drei Leute, ohne anzuklopfen, Miss Nellies Haus betraten.
» Was…?« Der Gesichtsausdruck von Leslies Vater wechselte in einem Augenblick von neugierig (niemand besuchte je Miss Nellie) zu grimmig, und er packte seinen Revolver und seine Dienstmarke. Doch Mrs. Cullinan stoppte ihn auf der vorderen Veranda.
» Nein, Wes«, sagte sie seltsam leidenschaftlich. » Nein. Sie gehören zum Feenvolk, und sie sind hier, um einen Schlamassel des Feenvolkes zu bereinigen. Lass sie tun, was nötig ist!«
Leslie, die um die Beine der Erwachsenen herumspähte, sah endlich, was die beiden so in Aufregung versetzt hatte: Die zwei Männer trugen Nellie aus ihrem Haus. Sie wehrte sich, und ihr Mund war weit aufgerissen, als würde sie schreien, doch kein Laut drang heraus.
Leslie hatte immer gefunden, dass Nellie mit ihren traurigen blauen Augen und ihrem weichen Mund aussah, als wäre sie ein Model oder ein Filmstar. Aber im Moment sah sie nicht hübsch
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