Stolz der Kriegerin
verschwunden.«
»Ich bin nicht verschwunden! Ich stecke in dir!«
In Tirah wallte schieres Entsetzen auf. Sie wusste, dass Sung zu den Langlebigen gehört hatte und einer von Sirrins Vertrauten gewesen war. Wenn der Heiler den jungen Mann zu ihrer Ruhestätte gebracht hatte, war dies nicht ohne Grund geschehen. Wahrscheinlich hatte Sung sie mit Hilfe ihres jetzigen Wirts wiederbeleben wollen. Doch dabei musste einfach alles schiefgegangen sein, und anstatt zu versuchen, die Sache zu bereinigen, war Sung davongelaufen.
Und nun war er tot. Tirah fragte sich, wo Sirrin gewesen sein mochte. Der Heiler hatte gewiss nicht auf eigene Faust gehandelt. Andererseits musste es so gewesen sein, denn Sirrin hätte niemals zugelassen, dass sie als hilfloses Anhängsel in einem Wardan-Bübchen steckend durch die Welt getragen wurde.
Daher fragte sie Rogon nach den Einzelheiten, die er jedoch nur bruchstückhaft beschreiben konnte. Von einer Frau, die die Evari hätte sein können, hatte er jedenfalls nichts gesehen.
»Wir werden Sirrin suchen müssen, damit sie das Ganze aufklärt. Auf ewig will ich nämlich nicht in dir drinstecken.«
Tirahs Unmut reizte Rogon zu einer scharfen Bemerkung. »Ich könnte mir auch etwas Schöneres vorstellen, als meinen Körper mit einem anderen zu teilen!«
Danach herrschte etliche Zeit Schweigen. Rogon suchte eine Felsspalte, in die er Sungs Überreste legen konnte, und deckte diese mit Steinen zu. Danach sah er sich das tote Ungeheuer an. Es reizte ihn, diesem einige der Zähne auszubrechen und als Trophäe mitzunehmen. Aber da das Ding giftig grün strahlte, sah er bedauernd davon ab.
»Ich ziehe jetzt weiter«, erklärte er schließlich, ohne zu wissen, ob Tirah mithörte oder nicht.
Dies war jedoch der Fall, denn er hörte sofort ihre Stimme in seinem Kopf. »Und wohin willst du?«
»Nach Süden, die Grünlinge vertreiben!«
Dies war der letzte Gedanke gewesen, den Tirah bei ihrer misslungenen Wiederbelebung gedacht hatte, und der erste, der ihr bei diesem weitaus schlechter ausgegangenen Versuch durch den Kopf geschossen war. Anscheinend war ihr Wunsch stark genug, Rogon zu beherrschen. Sie begann, seine Gedanken zu erkunden, und begriff bald, dass er ausgezogen war, um einem Leben in zeremonieller Eintönigkeit zu entgehen und Abenteuer zu erleben.
Ihr war es einst nicht anders ergangen. Auch sie hatte auf die Herrschaft über ihr Volk verzichtet, um ein Leben in Freiheit führen zu können. Damit gab es etwas, das sie beide verband. Also war es doch nicht nur Zufall gewesen, dass Sung diesen Jungen zu ihrem Tempel gebracht hatte.
Tirah klammerte sich an den Gedanken, weil er sie das, was geschehen war, leichter ertragen ließ. Dabei erinnerte sie sich daran, dass sie den Namen des Wirts bislang noch nicht kannte.
»Wie heißt du eigentlich? Ich kann ja nicht die ganze Zeit Jüngelchen zu dir sagen«, sprach sie ihn an.
»Ich bin Rogon, Prinz von Andhir, Sohn König Rogars und Königin Jannahs«, stellte er sich vor.
»Das sind Namen, die mir unbekannt sind. Der letzte Herrscher Andhirs, von dem ich gehört habe, hieß Serandhon, und er war auch nicht König, sondern Fürst«, antwortete Tirah.
»Serandhon starb, als der König von Fraarin sein Reich eroberte. Mein Vater hat mitgeholfen, Andhir und dessen Nachbarreiche zu befreien, und wurde dafür mit der Krone und dem Königstitel belohnt.«
Aus Rogon sprach ein Stolz, der Tirah belustigte. Andererseits sagte sie sich, dass ein Mann, der für seine Waffenhilfe ein Reich als Belohnung erhielt, jemand Besonderes sein musste. »Kannst du mir mehr darüber erzählen?«, fragte sie. »Weißt du, es ist irgendwie einsam, im Körper eines anderen Menschen zu stecken und nur sich selbst als Gesprächspartner zu haben.«
»Ich rede gerne mit dir. Aber du musst auch von dir erzählen. Immerhin bist du die berühmteste Kriegerin unserer Seite.«
Diese Idee ließ Rogon allen Ärger vergessen und versöhnte ihn ein wenig mit der bizarren Situation. Als er mit Tirah in seinem Innern weiterzog, taten beide es zwar nicht als Freunde, aber als zwei Menschen, die genau wussten, dass sie vorerst aufeinander angewiesen waren.
☀ ☀ ☀
Mehr als sechshundert Meilen von dem Ort entfernt, an dem Rogon durch die östlichen Ödlande stapfte, betrat Arendhar IV ., König von T’wool und aus Tradition Anführer aller Tawaler, den Bankettsaal seiner Residenz. Mit einem raschen Blick überflog er die anwesenden Großen seines Reiches. Der
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