Stumme Angst (German Edition)
ein Staubsauger hat ein Tiefdruckgebiet den ganzen Mist vom Mittelmeer her angesaugt, versprengte Überbleibsel des Wüstensturms Samum, den die Beduinen und Pollys Betreiber gleichermaßen für gefährlich halten.
Was die Forscher glauben: Die Staubpartikel beeinflussen die Strahlung der Sonne, den Wasserkreislauf und die Chemie der Atmosphäre, können Bakterien transportieren, die Atemluft verpesten.
Die Beduinen glauben im Grunde dasselbe, aber sie machen Dämonen dafür verantwortlich, böse Geister.
Meine Meinung lautet: Wer für solche Dinge nicht empfänglich ist, denkt sich nichts dabei und fährt seinen Wagen durch die Waschanlage. Jedoch all die anderen, die Sensiblen, die Wetterfühligen, diejenigen, die ahnen, dass es mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, als die Wissenschaft mit ihren komplizierten Gerätschaften und all den klugen Köpfen rund um den Globus auszuspionieren und zu erklären vermag, spüren, dass das Gift in der Luft etwas in Gang bringt.
Etwas Böses.
Unaufhaltsam wie eine chemische Reaktion.
Die Furchtsamen dürfen sich jetzt noch tiefer in das Labyrinth ihrer Ängste hineinbegeben.
Und ihr Gehässigen: Lasst euren schlimmen Gedanken freien Lauf. Worte zu Taten. Zeit für die Lämmer, sich in die Werwölfe und Vampire zu verwandeln, die ihr insgeheim immer schon sein wolltet, denn das hier ist wüster als Vollmond.
Mein Spiel. Ich entscheide, wer als Erstes zur Strecke gebracht wird: Eine alte Frau mit schütterem Haar. Sie hat den Bombenkrieg und die große Sturmflut in Hamburg heil überstanden, aber an ihren Händen sind noch die Narben zu sehen, die sie sich in den brennenden Trümmern zugezogen hat. Bei der Flut verlor sie ihren Mann und zog fünf Kinder allein groß, arbeitete als Kellnerin, als Garderobiere, als Blumenverkäuferin.
Als es geschieht, ist sie auf dem Rückweg von ihrer ältesten Tochter. Der Bus ist ihr vor der Nase weggefahren. Für ein Taxi ist sie zu geizig, obwohl sie sich die Fahrt leisten könnte.
Es geht alles ratzfatz. Ein rätselhafter Schmerz schießt ihr durch die Glieder, ausgehend vom Genick.
Sie merkt nicht mal, dass sie stirbt.
Christina Stein
Stumme Angst
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