Sturmwelten 01
der Sturmwelt. Man konnte der Sonne dabei zusehen, wie sie hinter dem Horizont versank. Dort, in der Ferne, wo sich jenseits der Hunderte oder gar Tausende bekannter Inseln noch das Unentdeckte verbarg. Die Seewüste, in der einzelne Fleckchen Land Oasen gleich aus dem Meer ragten.
Seit seiner Ankunft in der Sturmwelt hatte Jaquento so oft wie möglich den Sonnenuntergang beobachtet, doch niemals hatte er den legendären Grünen Blitz gesehen, der im letzten Augenblick des Sonnenlichtes den Himmel grün erstrahlen lassen sollte. Auch jetzt wieder ging die Sonne einfach unter, bot für einige Augenblicke ein farbenprächtiges Schauspiel, nahm dann den Tag mit und ließ Dämmerlicht zurück, das nur kurze Zeit währen würde, bevor es der Dunkelheit weichen musste. Für einen Moment starrte Jaquento weiter auf die See. Er hatte sich einen ruhigen Ort am Bug auf dem Backdeck gesucht, was nicht allzu schwer gewesen war. Die Mannschaft hatte wenig Arbeit zu verrichten. Die Segel waren gesetzt, der Wind kam beständig von achtern, der Kurs wurde gehalten. Einige saßen auf Deck, erzählten Geschichten oder spielten mit Würfeln. Jaquento hielt sich abseits, stand an der Reling und genoss den frischen Wind.
»Der Kapitän bittet zu Tisch«, rief ein Junge vom Achteraufbau her und winkte Jaquento zu. Unwillig ließ dieser die dicke Leine los, an der er sich festgehalten hatte, und ging über das Deck zurück. Seine Beine hatten sich erstaunlich schnell wieder an die Bewegungen des Schiffs gewöhnt. Die Seeleute schenkten ihm nur wenig Beachtung, ließen sich nicht beim Spiel stören.
Der Durchgang war von einer kleinen Laterne erhellt, und Jaquento musste sich bücken, als er hindurchlief. Die Enge des Schiffes störte ihn weniger als die Tatsache, dass er seinen Degen nicht wiederbekommen hatte. Immer wieder wanderte seine Hand zu seiner Hüfte, nur um innezuhalten. Es war ein unbestimmtes Gefühl von Unsicherheit, das weit schlimmer wog als der erzwungene Aufenthalt an Bord. Aus diesem Grund zögerte er kurz, bevor er an die Tür der Kapitänskajüte klopfte. Narr , schalt er sich selbst, wenn sie dir Übles wollen, wird dir kein Degen der Welt helfen, und sei er aus Batutzi .
Entschlossen hob er die Hand und klopfte energisch an. Sofort öffnete die Tür sich, und der Junge mit dem weißblonden Haar, der ihn gerufen hatte, trat lächelnd heraus. Er mochte zwölf oder dreizehn sein, doch er trug ein Messer an der Seite, das in der richtigen Situation gut und gern als Entersäbel durchgehen mochte.
»Lasst Euch von Jani nicht stören, Jaquento«, rief der Kapitän, der sich von einer reich gedeckten Tafel erhob und mit einem Taschentuch winkte. Angesichts der kulinarischen Fülle auf dem Tisch war Jaquento einen Moment lang abgelenkt. Seine eigenen Mahlzeiten waren in letzter Zeit eher schlicht gewesen. Neben noch dampfendem Brot gab es zwei silberne Teller mit in Scheiben geschnittenem Fleisch, das köstlich duftete. Dazu eine mit Schnitzereien verzierte Schale mit Obst aus der Sturmwelt, dessen exotische Formen und Farben den jungen Mann erstaunten. Zwei Karaffen Wein standen neben einer Holzplatte, auf der eine ganze Kollektion verschiedener Käsesorten angerichtet war. Allein der Anblick ließ Jaquento das Wasser im Munde zusammenlaufen, und der würzige Geruch war herrlich. Erst das Lachen des Kapitäns ließ ihn aufblicken.
»Bitte denkt nicht, dass wir jeden Tag so speisen. Wir sind einfache Seeleute. Aber wir haben so selten Gäste, dass ich meinem Koch für heute Abend freie Hand gegeben habe. Wie Ihr seht, hat er sich selbst übertroffen!«
»Ja«, flüsterte Jaquento und schluckte. Die letzte Mahlzeit lag lange zurück, und seit er auf dem Schiff aufgewacht war, hatte er bis auf einige Schluck Wasser nichts zu sich genommen.
»Setzt Euch, setzt Euch«, bat Rénand und wies mit beinahe höfisch anmutender Zier auf einen Stuhl. Der Kapitän trug noch den auffälligen Uniformrock, den Jaquento schon zuvor gesehen hatte. Das leuchtende Grün war mit goldenen Fäden abgesetzt. Gemeinsam mit den ebenfalls goldenen Knöpfen und Litzen wirkte der Rock prunkvoll, ein Eindruck, der noch durch das weiße Spitzenhalstuch verstärkt wurde. Dazu trug Rénand eine dunkelgrüne Kniebundhose mit makellos weißen Strümpfen und Schuhe, in deren Schnallen Jaquento sich gewiss hätte spiegeln können. Beeindruckender als seine Kleidung waren aber Haltung und Antlitz des Kapitäns. Ein kräftiges Kinn und eine gerade Nase
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