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Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Titel: Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Schreiber
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bedauerten. Sie hatten bereits vermutet, dass die Ostdeutschen kein ungezwungenes Verhältnis zu
Überwachungsmaßnahmen hatten. Es wird ein Stasi-Komplex sein, der diese Frau so feindlich macht, legten sie sich später zurecht, alt genug ist sie ja, hat die DDR augenscheinlich
noch durchgemacht zu Kinder- und Jugendzeiten.
    »Wer wusste außer Ihnen von dem Ding?«, fragte die Beamtin nach einer längeren Pause.
    »Lediglich der Chip-Anbieter.«
    »Sonst niemand? Ein Freund der Familie?«
    Der Vater schüttelte den Kopf: »Das ist ja der Sinn dieser Sache, dass niemand davon weiß.«
    »Sie haben sich keinem Menschen anvertraut?«
    »Nein.«
    Da hielt ihr die Mutter den Unterarm hin, schob den Ärmel ihrer Bluse hoch: »Man sieht es nicht, ich spüre nichts.«
    »Sie haben so was auch?«
    »Bitte sehr.«
    Die Kommissarin tastete den Arm ab, berührte mit der Handfläche die Haut der Frau.
    »Glauben Sie uns, Paula hat hier alles, was sich ein Kind nur wünschen kann«, versicherte die Mutter erneut.
    Oder nichts, zu viel des Guten, dachte die Polizistin. Sie konnte in diesem Fall nicht von einem Verbrechen ausgehen, die junge Frau war schlicht der Kontrolle durch die klammernden Eltern
müde, sie war ausgerissen. Es war infolge ihres Verschwindens weder ein Erpresserbrief eingegangen noch eine Geldforderung, es war auch kein Anruf gekommen, nichts dergleichen.
    »Wir werden vorschriftsmäßig nach dem Mädchen suchen, doch Sie müssen Geduld haben«, beendete sie ihren Besuch. »Sie wird zu Ihnen zurückkommen, sie
hat es ja gut hier, im Grunde.«

GALLE
    G alle war scheinbar der übliche Trottel des Dorfes, und weil Annie bevorzugt die Lädierten liebte, war er ihr automatisch ans Herz
gewachsen. Seine Augen waren hellbraun, er hatte riesige, spitz zulaufende Ohren, wie die von Fledermäusen, dünne, etwas längere Haare, die auf und ab hüpften, wenn er
ging – ein kindlicher Mann in den Dreißigern, der außerhalb des Dorfes hinter den Gemüsegärten lebte. Die Fassade seines halb verfallenen Hauses war mit kleinen
schwarz-grauen Holzstückchen verdeckt, die hatte sein Vater eigenhändig angebracht, als er noch lebte. Das Fundament darunter hatte in Höhe der Kellerfenster bedenkliche Risse. Doch
Galle ahnte nicht mal, was Risse waren, so wirr, wie er war.
    An der vorderen Hauswand standen zwei Birnbäume, die als Spalierobst beschnitten und deren Äste so nah an das Haus gebunden waren, dass es inzwischen aussah, als hielten sie das
gesamte Gebäude in einer Umarmung regelrecht zusammen. Zur Erntezeit brauchte Galle nur den Fensterladen zu öffnen und zuzugreifen, aber er mochte keine Birnen, weshalb die Früchte
jedes Jahr abfielen und vor dem Haus verfaulten; ihr Saft sickerte in die Erde, düngte den Boden und nährte den Baum, der unverdrossen Jahr für Jahr weiter seine Pflicht
erfüllte. Zumindest schmeckten Galle die prächtigen Himbeeren am Weg vor dem Haus, er aß von Juni bis zu den ersten Frösten davon und teilte die Ernte mit seinen Freunden.
    Die meisten Bewohner des Ortes verspotteten ihn nicht, sondern belächelten seine Schwächen, nur der Sparkassenmann versicherte, er habe es schwarz auf weiß, dass der Kerl plemplem sei, wie er sich ausdrückte. Wer allerdings Galles schweres Schicksal kannte, empfand Mitleid mit ihm und grüßte ihn wie einen
Ehrenbürger.
    Er schaute den Menschen viel zu direkt in die Augen, nie drum herum, er zwinkerte nicht mal, während er so intensiv glotzte. Selbst wenn er mit Schuhbinden oder Kaffeetrinken
beschäftigt war – er tat diese beiden Dinge durchaus gleichzeitig –, guckte er einem dabei in die Augen und fand das Kaffeepulver und die Schuhbänder blind. Er ging
rückwärts aus seinem eigenen Haus, weil er das Foto seiner Mutter fixierte, bis sie nicht mehr zu sehen war, erst dann schloss er die Tür. Auf seinem Weg in den Ort starrte er in die
Augen der Hunde, die ihm entgegenkamen. Die empfindlicheren Tiere zogen ihren Schwanz ein, einzig den Neugeborenen, Menschen wie Tieren, machte sein Blick nichts aus, die konnten genauso lange und
intensiv gucken wie er.
    Galle sah sich auch seit Jahren ein und denselben Film von Billy Wilder auf altmodischer VHS -Kassette an: Eins, Zwei, Drei . Das Band leierte schon. Wenn er vor
dem Bildschirm saß, flüsterte er die Sätze aufmerksam mit. Seine Lieblingsstelle war die, wo Liselotte Pulver im gepunkteten Kleid auf dem Tisch zum Säbeltanz von Chatschaturjan tanzt. Da lachte er jedes Mal,

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