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Super Sad True Love Story

Super Sad True Love Story

Titel: Super Sad True Love Story Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Shteyngart
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Nase abwischen?), was bewies, dass ich ihr etwas bedeutete. Sie hatte sich angemessen gekleidet, ihr Aufzug war noch etwas konservativer als sonst: einehimmelblaue Bluse mit Bubikragen und weißen Knöpfen, ein wollener Bundfaltenrock, der übers Knie reichte, ein schwarzes Samtband um den Hals – aus bestimmter Blickrichtung sah sie aus wie eine der orthodoxen Jüdinnen, die inzwischen mehrheitlich mein Wohnhaus bevölkern. Die übliche koreanische Elternverehrung und Elternangst weckte in mir einen eigenartigen Immigrantenstolz. Wie Eunice da so anziehend auf dem orangen Kunstledersitz des Pendlerzuges schwitzte, konnte ich mir die naturgegebene Langlebigkeit unserer Beziehung vorstellen, und wenigstens einen Augenblick lang hatte ich das Gefühl, dass wir unseren vorbestimmten Rollen als Nachkommen schwieriger ausländischer Eltern gerecht wurden.
    Doch es kam noch etwas hinzu. Meine erste Liebe zu einem koreanischen Mädchen war vor gut fünfundzwanzig Jahren auf dieser Zugstrecke erblüht. Ich war gerade auf eine renommierte Highschool mit Schwerpunkt Mathe und Naturwissenschaften in TriBeCa gewechselt. Die meisten anderen Schüler waren Asiaten, und da man eigentlich in New York City wohnen musste, um angenommen zu werden, hatten einige von uns die Wohnungsangaben gefälscht und pendelten aus verschiedenen Teilen von Long Island. Die Fahrt zurück nach Westbury, gemeinsam mit Dutzenden von Nerd-Mitschülern, hatte es besonders in sich, weil an der naturwissenschaftlichen Highschool jeder wusste, dass mein Notenschnitt bei jämmerlichen 86,894 lag, während man für die Zulassung an den schwächsten Elite-Unis, an der Cornell oder der University of Pennsylvania, mindestens 91,550   Punkte brauchte (als Kinder von Einwanderern aus Hochleistungsländern wussten wir natürlich, dass es von unseren Eltern Backpfeifen setzen würde, wenn es nicht mindestens die Penn wurde). Mehrere koreanische und chinesische Jungs, die mit mir Zug fuhren – ihrhochgegeltes Haar sehe ich heute noch in den plastischsten Albträumen vor mir – tanzten um mich herum und sangen meinen Notenschnitt: «Sechsundachtzig Komma acht neun vier, sechsundachtzig Komma acht neun vier!»
    «Damit kommst du nicht mal ans Oberlin.»
    «Viel Spaß an der NYU, Abramov.»
    «Ab an die Uni in Chicago! Wo die Lehrer lernen!»
    Doch da war ein Mädchen, auch eine Eunice   – Eunice Choi, um genau zu sein   –, eine großgewachsene, stille Schönheit, die meine Quälgeister von mir wegschob und rief: «Lenny kann nichts dafür, dass er nicht gut in der Schule ist! Denkt dran, was Reverend Sung sagt: Wir sind alle verschieden. Wir alle haben unterschiedliche Fähigkeiten. Wisst ihr nicht mehr, der Sündenfall? Wir sind alle gefallene Geschöpfe.»
    Dann setzte sie sich neben mich und half mir, ohne dass ich sie gebeten hätte, bei der unlösbaren Chemiehausaufgabe, schob die seltsamen Buchstaben und Zahlen in meinem Heft hin und her, bis die Gleichungen aus irgendeinem Grund «aufgingen», während ich, der ich neben diesem Zaubermädchen, neben ihrer seidigen Haut, die unter sommerlichen Turnhosen und orangem Princeton-Trikot schimmerte, völlig das Gleichgewicht verlor, den Versuch unternahm, kurz an ihrem Haar zu schnuppern oder mich von ihrem harten Ellbogen streifen zu lassen. Zum ersten Mal war eine Frau für mich in die Bresche gesprungen und hatte mir eine Ahnung davon vermittelt, dass es sich tatsächlich lohnte, mich zu verteidigen, dass ich kein schlechter Mensch war, nur eben nicht so lebenstüchtig wie andere.
    In Westbury stiegen Euny und ich vor einem gepanzerten Truppentransporter aus, der neben dem gedrungenen Bahnhofsgebäude parkte und dem wieder abfahrenden Zug mit nickendem Browning-M 2-Maschinengewehr eine Artfreundlichen, herzlichen Abschiedsgruß nachwinkte. Nationalgardisten prüften die Äppäräte der bunt durchmischten Fahrgäste, der Salvadorianer, Iren, Südostasiaten, Juden und all der anderen, die beschlossen hatten, aus dieser Ecke von Long Island das farbenfrohe, geruchsintensive Mosaik werden zu lassen, das es derzeit ist. Die Soldaten wirkten sonnenverbrannter und wütender als üblich; vielleicht waren sie gerade aus Venezuela abkommandiert worden. Zwei Männer – einer mit brauner Haut, der andere nicht – wurden aus der Schlange geholt und ins Fahrzeug geschoben. Zu hören war nur das Sirren und Klicken unserer Äppäräte, von denen Daten heruntergeladen wurden, und damit wetteifernd das Zirpen der Zikaden,

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