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Tagebücher: 1909-1923

Tagebücher: 1909-1923

Titel: Tagebücher: 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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vielleicht, selbst wenn er zusammengedrängt wäre, zuwenig Kraft hätte für das, was ich erreichen will.
      aus einem Brief Löwys an seinen Vater: Wenn ich nach Warschau komme, werde ich in meinen europäischen Kleidern zwischen euch herumgehn wie “eine Spinne vor den Augen, wie ein Trauernder unter Brautleuten”

    L. erzählt von eine m verheirateten Freunde, der in Postin lebt einer kleinen Stadt in der Nähe von Warschau und sich in seinen fortschrittlichen Interessen einsam und daher unglücklich fühlt. “Postin, ist das eine große Stadt” “So groß” er hält mir seine flache Hand hin. Sie ist mit einem gerauhten gelbbraunen Handschuh bekleidet und stellt eine wüste Gegend vor.
    23. XI 11 am 21. dem 100jährigen Todestag Kleists ließ die Familie Kleist einen Kranz auf sein Grab legen mit der Aufschrift: “Dem Besten ihres Geschlechts”

      Von was für Zuständen ich durch meine Lebensweise abhängig werde! Heute nacht habe ich etwas besser als in der letzten Woche geschlafen, heute nachmittag sogar ziemlich gut, ich habe sogar jene Verschlafenheit die auf mittelguten Schlaf folgt, infolgedessen befürchte ich, weniger gut schreiben zu können, fühle, wie sich einzelne Fähigkeiten tiefer ins Innere schlagen und bin auf alle Überraschungen vorbereitet d. h. sehe sie schon.

      24 XI 11 Schhite (der welcher die Schächterkunst lernt.) Stück von Gordyn. Darin Talmudcitate z.B. Wenn ein großer Gelehrter abend oder in der Nacht eine Sünde begeht, so darf man sie ihm am Morgen nicht mehr vorwerfen, denn in seiner Gelehrsamkeit hat er sie sicher schon selbst bereut – Stiehlt man einen Ochsen so muß man 2 zurückgeben, schlachtet man den gestohlenen Ochsen, so muß man 4 zurückgeben, schlachtet man aber ein gestohlenes Kalb, so muß man nur 3 zurückgeben, weil angenommen wird, daß man das Kalb wegtragen mußte, also eine schwere Arbeit getan hat. Diese Annahme bestimmt die Strafe auch dann, wenn man das Kalb bequem fortgeführt hat.

    Ehrenhaftigkeit schlechter Gedanken. Gestern abend fühlte ich mich besonders elend. Mein Magen war wieder verdorben, ich hatte mit Mühe geschrieben, der Vorlesung Löwys im Kaffeehaus, (das zuerst still war und von uns geschont werden mußte, das sich dann aber belebte und uns nicht in Ruhe ließ) hatte ich mit Anstrengung zugehört, meine traurige nächste Zukunft erschien mir nicht wert in sie einzutreten, verlassen gieng ich durch die Ferdinandstraße. Da kamen mir an der Mündung des Bergstein wieder die Gedanken an die spätere Zukunft. Wie wollte ich sie mit diesem aus einer Rumpelkammer gezogenem Körper ertragen? Auch im Talmud heißt es: Ein Mann ohne Weib ist kein Mensch. Gegenüber solchen Gedanken blieb mir an diesem Abend keine andere Hilfe als daß ich mir sagte: “Jetzt kommt ihr schlechte Gedanken, jetzt weil ich schwach bin und verdorbenen Magen habe. Gerade jetzt wollt ihr euch durchdenken lassen. Nur darauf was Euch wohltut habt ihr es abgesehn. Schämt Euch. Kommt ein anderesmal, wenn ich kräftiger bin. Nützt meinen Zustand nicht so aus. ” Und tatsächlich, ohne andere Beweise auch nur abzuwarten, wichen sie zurück, zerstreuten sich langsam und störten mich nicht mehr auf meinem weitern natürlich nicht übermäßig glücklichen Spaziergang. Sie vergaßen aber offenbar, daß sie, wenn sie alle meine schlechten Zustände respektieren wollen, selten an die Reihe kommen werden.
    Durch den Benzingeruch eines vom Teater her fahrenden Automobils wurde ich darauf aufmerksam, wie sichtbar auf die mir entgegenkommenden Teaterbesucher die mit letzten Griffen ihre Mäntel und hängenden Gucker in Ordnung bringen, eine schöne Häuslichkeit wartet (und sei sie auch nur von einer Kerze beleuchtet, so ist es ja vor dem Schla fengehn recht) wie sie aber auch aus dem Teater nach hause geschickt erscheinen, als untergeordnete Personen, vor denen der Vorhang zum letztenmal niedergegangen ist und hinter denen sich die Türen geöffnet haben, durch die sie vor Anfang oder während des ersten Aktes hochmütig wegen irgend einer lächerlichen Sorge eingetreten sind.

Heft 4

    28. XI 11 3 Tage lang nichts geschrieben.

    25. XI (1911) den ganzen Nachmittag im Cafe City
      Miska überredet, eine Erklärung zu unterschreiben, daß er nur Commis bei uns war, also nicht versicherungspflichtig und der Vater nicht verpflichtet wäre, die große Nachtragszahlung für seine Versicherung zu leisten. Er verspricht es mir, ich rede ein flüssiges Cechisch,

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