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Felicity Gallant und Das Auge des Sturms (German Edition)

Felicity Gallant und Das Auge des Sturms (German Edition)

Titel: Felicity Gallant und Das Auge des Sturms (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Welsh
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Erstes Kapitel
    I
  n der Bibliothek von Wellow war es still. Felicity hatte es nicht anders erwartet – sie kam oft hierher und immer hatte sie den Raum für sich allein. Darum war sie so schockiert, als sie auf einen Riesen von einem Mann stieß, der auf dem Boden kniete und weinte.
    Sicher, Wellow ist berühmt, aber es ist auch ziemlich entlegen – ein einsamer Ort ganz am Rand dieses großen Landes, das wir Albion nennen. Der Mann sah extrem fremdartig aus. Er war der exotischste Mensch, den sie je gesehen hatte. Felicity wusste, dass es unhöflich war, andere Leute anzustarren, aber sie konnte einfach nicht wegsehen. Seine Haut war so dunkel, dass sie fast bläulich schimmerte. Obwohl er auf dem Boden kauerte, konnte man sehen, dass er sehr groß war, und er war schön mit seinen hohen Wangenknochen, den breiten, vollen Lippen und den mandelförmigen Augen. Seine Kleider wirkten nicht weniger ungewöhnlich als er selbst: Er trug einen langen Samtmantel, der aus quadratischen schokoladenbraunen, orangen und flaschengrünen Stoffstücken zusammengesetzt war, über einem weißen Leinenhemd und Baumwollhosen. Seine Stiefel waren aus Leder und hatten flache weiche Sohlen.
    Um ihn herum waren Bücher auf dem Boden verstreut. Auf seinem Schoß lag ein großer roter Lederband. Er beugte sich darüber, während Tränen über sein Gesicht rannen. Eine Hand umklammerte eine kleine, aus dunklem, schimmerndem Holz geschnitzte Puppe. Sie war in verblichene Stofffetzen gehüllt, die offenbar einmal – vor sehr langer Zeit – prächtig bunt gewesen waren. Eine Aura unsäglicher Traurigkeit umgab ihn. Er schien Felicitys Anwesenheit überhaupt nicht zu bemerken.
    Es war, als träfe man in seinem Wohnzimmer auf einen wilden Panther. Wie war es möglich, dass sich ein so ungeheuer lebendiges Wesen in die staubige Bibliothek von Wellow verirrt hatte? Felicity spürte den unwiderstehlichen Drang, den Fremden zu trösten. Ohne darüber nachzudenken, trat sie einen Schritt auf ihn zu … Und brach damit den Bann, der über ihm zu liegen schien. Er schaute hoch, als nähme er erst jetzt die Welt um sich herum wieder wahr.
    Seine Wangen waren nass und sein Blick direkt. Langsam musterte er sie und noch langsamer erschien auf seinem Gesicht kaum merklich ein sehr trauriges Lächeln. Er sprang auf, drückte das Buch an seine Brust, rannte an Felicity vorbei zur Tür, schlüpfte hinaus und war verschwunden.
    Felicity starrte verblüfft auf die Stelle, wo er gehockt hatte. Miss Cameron, die Bibliothekarin, saß an ihrem Platz neben dem Eingang, ganz in ihre Arbeit vertieft. Felicity erwachte zum Leben. Sie rannte los, schoss durch die Schwingtüren hinaus auf die Straße, dem Mann hinterher. Sie wollte unbedingt wissen, wer er war.
    Vor der Bibliothek von Wellow treffen zwei Wege aufeinander, die von der Steilküste zum Meer hinabführen. Auf dem einen gelangt man zum Hafen. Der Fremde wählte den anderen und rannte in Richtung Steephill Cove.
    »Warten Sie!«, schrie Felicity im Laufen. »Bitte, warten Sie!«
    Unten auf dem Sand lagen die Boote der Fischer, Felicity konnte die Netze sehen, die sich darin befanden. Sie lief so schnell, dass sie immer wieder nach dem eisernen Geländer greifen musste, um den Halt nicht zu verlieren. Der Fremde rannte mit unvermindertem Tempo auf ein Ruderboot zu, machte es los und schob es zum Wasser.
    Felicity hastete die letzten Stufen hinunter und über den Strand, dann blieb sie stehen und rief noch einmal: »Bitte warten Sie!«
    Endlich schaute der Mann auf. Felicity wusste plötzlich nicht mehr, was sie sagen sollte, und ihr wurde klar, dass sie keinen vernünftigen Grund hatte, diesem Mann von der Bibliothek bis hinunter zum Strand nachzurennen. Sie hatte keinen einzigen Grund. Nur dieses überwältigende Gefühl, dass sie ihm folgen musste.
    »Sie können doch nicht …«, fing sie an. »Man darf nicht einfach so Bücher aus der Bibliothek mitnehmen.« Sie wurde rot. Fiel ihr wirklich nichts Besseres ein?
    Der Mann blickte überrascht auf das Buch in seiner Hand. Er lachte. Es klang voll und melodisch.
    »Ja, man muss sich an die Vorschriften halten. Das ist sehr wichtig.« Er musterte sie nachdenklich. Dann nahm er etwas aus seiner Tasche, legte es auf das Buch und überreichte ihr beides. »Die Sturmwolke kommt«, sagte er, als wäre das eine Erklärung, und wandte sich wieder dem Boot zu.
    Felicity stand am Strand. Sie klemmte sich das Buch unter den Arm und betrachtete das andere

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