talon005
Alle drei hatten sich inzwischen in einem Halbkreis um den Fremden versammelt. „Mein Name ist Eugene Mauris. Ich bin der Fahrer der Gruppe.“
Er deutete dann auf Alice. „Meine Kollegin hier vor Ort, Alice Struuten, Fotografin.“ Sie strahlte den Wilden an und warf ihm ein kurzes ‚Hi’ zu.
„Und Miss Verhooven, unsere, hm, tja-“ unterbrach er sich. „Was sind Sie eigentlich?“
Janet warf ihm einen scharfen Blick zu und verschränkte die Arme vor der Brust.
„’Janet’ für meine Freunde“, lautete ihre knappe Antwort. „Was treibt Sie in diese Gegend, Mister –?“
Der Mann, der mit nicht mehr als einem Lendenschurz bekleidet war, richtete sich mit katzengleicher Gewandtheit auf und hielt für einige Sekunden inne.
„Nennen Sie mich ‚Talon’.“ Ohne die Menschen weiter zu beachten, suchten seine Augen das Bild ab, das sich ihm bot. So, als sammelten sie die Bruchstücke von Erinnerungen zusammen, die zwischen den Ruinen verloren gegangen waren. Keiner der anderen wagte etwas zu sagen.
„Ich?“, wandte er sich plötzlich wieder an Janet, als habe er erst jetzt den Sinn ihrer Frage verstanden. „Ich lebe hier. Aber, Sie, was – –?“
Der Boden schien unter Talons Füßen zu schwanken. Er stöhnte auf und taumelte zur Seite. Alice Struuten war mit einem Schritt bei ihm und hielt ihn am linken Unterarm fest.
„Vorsicht!“, rief sie und hatte alle Mühe, den muskulösen Körper zu stützen. Talon lehnte sich mit dem Rücken gegen den Stumpf einer zerfallenen Säule und nahm das Glas Wasser, das ihm Alice reichte, mit einem stummen Nicken an. Janet wartete, bis er sich wieder erholt hatte.
„Wir sind für Vanderbuildt, Inc. unterwegs“, eröffnete sie ihm. Als sie keine Reaktion bei Talon feststellte, fügte sie erklärend hinzu, „Ein südafrikanisches Unternehmen, das in ganz Afrika zahlreiche Niederlassungen pflegt.“ Sie behielt den Mann genau im Auge. „Wir sollen uns einen Einblick in die Geomorphologie des Landes verschaffen, in den Dschungel schnuppern. Und dabei haben wir von dem ‚Exodus’ der Löwen gehört!“
In Talons Augen blitzte es auf. Ohne ein Zeichen von Schwäche fuhr er hoch.
„Die Löwen!“, schrie er auf. „T’cha! Ich muss ihnen nach!“
Deutlich registrierte Janet, dass Talon die Menschen um sich schlagartig vergessen hatte. Seine Gedanken schienen nur noch von dem Schicksal der Löwen besessen zu sein. Sie wusste nicht, wie gut Mauris im Zweikampf war, aber sie räumte ihm keine großen Chancen in einem direkten Vergleich mit dem ‚Wilden’ ein, sollte sie von ihm verlangen, ihn aufzuhalten. Stattdessen trat sie an Talon heran und legte ihm ihre Hand auf die Schulter, um ihn zurück zu halten.
„Alleine?“, setzte sie mit einem besorgten Blick an. „In Ihrem Zustand? Lassen Sie sich von uns helfen!“
Sofort war Alice an ihrer Seite und unterstützte sie.
„Natürlich! Vielleicht springt ’ne Story für mich dabei raus!“ Sie schenkte Talon ein gewinnendes Lächeln. „Ein wenig Pep kann dem faden Bericht nicht schaden.“ Alice befürchtete kurz, Janet könnte sie als Leiterin des Projekts für diese Worte zurechtweisen, doch mit einem Seitenblick erkannte sie, dass die blonde Frau die gleichen Gedanken zu führen schien.
Talon hielt in seiner Bewegung inne und blickte geistesabwesend zu Boden. Mehrere Augenblicke verstrichen, in denen er die beiden Frauen nur stumm musterte.
„Es ärgert mich, ihr Angebot annehmen zu müssen“, stimmte er zögernd zu. „Aber, na gut – machen wir uns auf den Weg.“
Eugene Mauris hatte inzwischen das provisorische Lager abgebaut und auf der Ladefläche des Rovers verstaut. Er lehnte sich gegen einen Überrollbügel und klopfte sich kurz den Staub von den Schuhen. Die beiden Frauen setzten wie selbstverständlich auf die Rückbank. Eugene lud Talon mit einer Handbewegung ein, neben ihm auf dem Beifahrersitz Platz zu nehmen und schwang sich dann selbst in das Innere des Fahrzeugs.
„Immer den Ruinen nach, hm?“, fragte er den Fahrgast und nickte mit dem Kinn Richtung Südosten. Talon folgte dem Blick des Belgiers. Der verwaschene graublaue Himmel ließ die Konturen am Horizont in einem nebligen Dunst verschwimmen. Dennoch zeigte sich Talons Sinnen ein klar erkennbarer Pfad durch die Einöde.
Er nickte dem Fahrer zu. Augenblicke später setzte sich der Rover in Bewegung und zog eine breite Staubfahne hinter sich her, die die Ruinen hinter ihnen in einen undurchdringlichen Schleier
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