Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tatjana

Tatjana

Titel: Tatjana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Cruz Smith
Vom Netzwerk:
Gekreisch. Die restlichen ließen sich in mürrischer Eintracht nieder, die Köpfe in den Wind gedreht. Als sich der Nebel lichtete, tauchte der Horizont auf, Wellen schwappten mit dem Geräusch von Perlen heran, die über einen Marmorboden kullern.

1
    A uf dem Wagankowoer Friedhof stand die Zeit nicht still, doch sie verlangsamte sich. Blätter, die von Pappeln und Eschen herabwehten, vermittelten ein Gefühl von Erleichterung, Ungezwungenheit und Verfall. Viele Grabstätten waren bescheiden, ein Stein und eine Bank, umzäunt von allmählich rostendem Schmiedeeisen. Ein Einmachglas mit Blumen oder ein Päckchen Zigaretten waren Beweise der Zuwendung für Geister, denen endlich erlaubt war zu genießen.
    Von Grischa Grigorenko ließe sich behaupten, dass er stets dem Genuss zugeneigt war. Er hatte auf großem Fuß gelebt und verließ diese Welt auf die gleiche Weise. Tagelang hatten der Leitende Ermittler Arkadi Renko und Kriminalleutnant Viktor Orlow den Toten durch Moskau verfolgt. Begonnen hatten sie mit dem ausgeweideten Grischa im Leichenschauhaus, gefolgt von einer Kräuterwaschung und Schminksitzung in einer Wellnessoase. Schließlich, bekleidet und aromatisiert, war die Leiche in einem goldbeschlagenen Sarg, auf Rosen gebettet, in der Basilika der Christ-Erlöser-Kathedrale aufgebahrt worden. Alle waren sich einig, dass Grischa, abgesehen von dem Loch in seinem Hinterkopf, wirklich gut aussah.
    Für einen Leitenden Ermittler wie Renko und einen Kriminalleutnant wie Orlow war eine Überwachung dieser Art ziemlich erniedrigend, eine Aufgabe, die ein Kartenabreißer im Kino hätte übernehmen können. Der Staatsanwalt hatte angeordnet, sie sollten »Notizen und Fotos machen. Halten Sie sich von der Trauergemeinde fern und beobachten Sie bloß. Verhalten Sie sich diskret und nehmen Sie keinen Kontakt auf«.
    Die beiden waren schon ein sonderbares Paar. Arkadi war ein dünner Mann mit strähnigem, dunklem Haar und wirkte ohne Zigarette unvollkommen. Viktor war ein Wrack mit blutunterlaufenen Augen. Wegen seiner Trinkerei wagte außer Arkadi niemand, mit ihm zu arbeiten. Solange er einen Fall verfolgte, blieb er nüchtern und war ein guter Kriminalbeamter. Er war wie ein Reifen, der aufrecht blieb, solange er rollte, und umfiel, wenn er anhielt.
    »Keinen Kontakt aufnehmen«, murrte Viktor. »Das hier ist ein Begräbnis. Was erwartet er denn, Armdrücken? He, da ist die Wetterfee.« Eine Blondine in Schwarz schälte sich aus einem Maserati.
    »Wenn du winkst, erschieße ich dich.«
    »Siehst du, auch bei dir ist es schon angekommen. ›Verhalten Sie sich diskret.‹ Wegen Grischa? Er mag zwar ein Milliardär gewesen sein, aber er war trotzdem nur ein besserer Knochenbrecher.«
    Es gab zwei Grischas. Der eine war ein öffentlicher Wohltäter, Schirmherr von Wohltätigkeitsorganisationen und Mäzen der Künste, ein führendes Mitglied der Moskauer Handelskammer. Der andere war der Grischa, der seine Finger in Drogen, Waffenhandel und Prostitution hatte.
    Die Trauergemeinde war ähnlich gemischt. Arkadi entdeckte Milliardäre, deren Arme das Nutzholz und die Erdgasvorkommen der Nation umschlangen, Abgeordnete, die sich ohne Hemmungen aus der Staatskasse bedienten, Boxer, die zu Gangstern geworden waren, Popen so rund wie Mistkäfer, Models auf wackeligen Stilettos und Schauspieler, die nur Attentäter spielten, Schulter an Schulter mit den echten. Ein grüner Teppich war vor der ersten Reihe ausgerollt, in der die Köpfe der Moskauer Unterwelt in ganzer Bandbreite auftauchten, von den alten Knaben wie Ape Beledon, genannt der Affe, ein Zwerg mit Affengesicht in einem Mantel und einer Persianermütze, und seinen beiden vierschrötigen Söhnen, über Boris und Valentina Schagelmann, Experten für insolvente Banken, bis hin zu Abdul, der sich von einem tschetschenischen Rebellen zu einem Autoschmuggler und, in einem weiteren Karrieresprung, zu einem Hip-Hop-Künstler entwickelt hatte. Als Viktor die Kamera hob, versperrte ihm einer von Beledons Söhnen die Sicht.
    »Oh, Scheiße.« Das war Viktors Lieblingsausdruck. Egal, ob es um ein Fußballturnier ging, ein Kartenspiel oder einen Salat – alles war Scheiße. »Weißt du, was mich ankotzt?«
    »Was kotzt dich an?«
    »Wir kommen mit zweihundert Digitalbildern von diesem Scheißloch in der Erde zurück, und der Revierkommandant wird nur sagen, ›Vielen Dank‹, und sie dann vor meinen Augen löschen.«
    »Überspiel sie vorher auf den Laptop.«
    »Darum geht es

Weitere Kostenlose Bücher