Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Thursday Next 01 - Der Fall Jane Eyre

Thursday Next 01 - Der Fall Jane Eyre

Titel: Thursday Next 01 - Der Fall Jane Eyre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasper Fforde
Vom Netzwerk:
wildwuchernden Wald von Mikrofonen. »Was im Jahre 1854 als halbherziger Versuch seinen Anfang nahm, die russische Expansionspolitik einzudämmen«, proklamierte der Abgeordnete, »ist im Lauf der Jahre zu einem durchsichtigen Manöver verkommen, das keinem anderen Zweck dient als der Aufrechterhaltung des Nationalstolzes …«
    Ich schaltete auf Durchzug. Ich hatte all das schon tausendmal gehört. Ich trank noch einen Schluck Kaffee; der Schweiß auf meiner Kopfhaut juckte. Duff-Rolecks’ Rede wurde mit Archivaufnahmen von der Krim unterlegt: Sebastopol, eine schwerbefestigte englische Garnisonsstadt, von deren architektonischem und historischem Erbe wenig übriggeblieben war. Immer wenn ich diese Bilder sah, roch ich den beißenden Gestank von Kordit und hörte das Krachen explodierender Granaten. Automatisch strich ich mir mit dem Finger über das einzige äußerliche Andenken, das ich von meinem Kriegseinsatz zurückbehalten hatte – eine kleine, leicht erhabene Narbe am Kinn. Andere hatten weniger Glück gehabt. Es hatte sich nichts geändert. Der Krieg schleppte sich weiter dahin.
    »Das ist doch alles dummes Zeug«, sagte eine heisere Stimme dicht neben mir.
    Es war Stanford, der Besitzer des Cafés. Wie ich war er Krimveteran, wenn auch aus einem früheren Feldzug. Anders als ich hatte er dort mehr verloren als nur seine Unschuld und ein paar gute Freunde; er humpelte auf zwei Blechbeinen durchs Leben und hatte genug Granatsplitter für ein halbes Dutzend Konservendosen im Leib.
    »Die Krim geht die Vereinten Nationen einen Dreck an.«
    Obwohl wir ziemlich unterschiedliche Auffassungen hatten, unterhielt er sich gern mit mir über die Krim. Was sonst eigentlich niemand tat. Die Soldaten, die in den anhaltenden Konflikt mit Wales verwickelt waren, genossen weitaus größeres Prestige; Krimkämpfer auf Urlaub ließen ihre Uniform zumeist im Schrank.
    »Das glaube ich nicht«, erwiderte ich unverbindlich und starrte aus dem Fenster; an der nächsten Ecke stand ein bettelnder Krimveteran und rezitierte für ein paar Pennies Longfellow-Gedichte.
    »Wenn wir sie jetzt zurückgeben, sind Millionen umsonst gestorben«, setzte Stanford schroff hinzu. »Wir sind seit 1854 auf der Krim. Sie gehört
uns
. Genausogut könnten wir den Franzosen die Isle of Wight zurückgeben.«
    »Wir
haben
den Franzosen die Isle of Wight zurückgegeben«, sagte ich nachsichtig; Stanfords Interesse am Tagesgeschehen beschränkte sich im allgemeinen auf die Ergebnisse der Ersten Krocketliga und das Liebesleben der Schauspielerin Lola Vavoom.
    »Ach ja«, murmelte er stirnrunzelnd. »Stimmt. Auch so eine Schnapsidee. Wofür hält diese UNO sich eigentlich?«
    »Ich weiß nicht, aber wenn sie dem Morden ein Ende macht, ist ihr meine Stimme sicher, Stan.«
    Der Barkeeper schüttelte resigniert den Kopf, während Duff-Rolecks seine Rede zu Ende brachte: »… es besteht nicht der geringste Zweifel, daß Zar Alexej Romanow IV. ein verbrieftes Anrecht auf die Hoheitsrechte über die Halbinsel hat, und ich für meinen Teil sehe dem Tag, da wir unsere Truppen abziehen und dieser unermeßlichen Vergeudung von Menschenleben und Ressourcen ein verdientes Ende bereiten, mit Freude und Zuversicht entgegen.«
    Die Nachrichtensprecherin ging zum nächsten Thema über – die Regierung wolle den Käsezoll auf 83 Prozent erhöhen, ein unpopulärer Schachzug, der die militanteren unter unseren Mitbürgern zweifellos dazu veranlassen würde, vor den Lebensmittelgeschäften zu demonstrieren.
    »Wenn sich die Russkis zurückziehen würden, wäre der Spuk morgen vorbei«, sagte Stanford grimmig.
    Das war kein Argument, und das wußte er genauso gut wie ich. Auf der gesamten Krim gab es nichts mehr, was zu besitzen sich lohnte, ganz gleich wer den Krieg gewann. Der einzige Landstrich, den die Artillerieduelle nicht in Schutt und Asche gelegt hatten, war stark vermint. Historisch und moralisch gehörte die Krim zum Russischen Reich, und damit basta.
    Die nächste Meldung befaßte sich mit einem Scharmützel an der Grenze zur Volksrepublik Wales; keine Verletzten, nur ein paar Schüsse über den Wye in der Nähe von Hay. Wie üblich hatte der walisische Präsident-auf-Lebenszeit Owain Glyndwr VII. in seinem jugendlichen Übermut Englands imperialistischen Anspruch auf ein vereintes Großbritannien dafür verantwortlich gemacht; wie üblich hatte das Parlament nicht einmal eine Erklärung zu dem Zwischenfall abgegeben.
    Die Nachrichten waren noch nicht zu Ende,

Weitere Kostenlose Bücher