Tochter der Nacht
die Flöte spielst, werde ich mich nicht in einen Fisch verwandeln und dich an Land bringen.«
Tamino mußte lachen und spuckte prustend Wasser. »Ich wäre eigentlich jetzt an der Reihe. Aber ich fürchte, ich beherrsche die Kunst, mich zu verwandeln, nicht. Was für eine Prüfung ist das? Sollen wir an Land schwimmen?«
»An welches Ufer? Tamino, ich weiß nicht mehr als du. Ich wünschte wirklich, sie würden uns vorher sagen, worin die Prüfung besteht, und uns Gelegenheit geben, zu lernen, was wir tun müssen!« Pamina mußte husten. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß es für unsere geistige Entwicklung von Bedeutung ist, ob wir schwimmen können oder nicht. Hast du die Flöte?«
Tamino griff mit einer Hand an den Gürtel.
»Ja. Aber sie ist naß.« Vorsichtig legte er sich auf den Rücken, und es gelang ihm, sie von seiner Hüfte zu lösen. »Ich dachte, sie sei das Zauberinstrument der Luft. Wie soll sie uns mitten auf dem Meer helfen?«
»Ich weiß nicht. Aber wenn wir sie nicht bei uns haben sollten, hätte man sie dir nicht mitgegeben«, erwiderte Pamina.
Das klang vernünftig, dachte Tamino. Aber wie sollte er im Wasser treibend Flöte spielen, und was würde geschehen, wenn es ihm tatsächlich gelang? Tamino zögerte; er wollte nichts Falsches unternehmen. Er glaubte ebensowenig wie Pamina daran, daß ihre Schwimmkünste auf die Probe gestellt werden sollten. In der Steilwand war es auch nicht darum gegangen, Felsen zu erklettern. Jetzt – bei dieser Prüfung
– mußte es also um mehr gehen, doch er konnte sich nicht vorstellen worum.
»Kannst du überhaupt schwimmen?« fragte Tamino. »Es macht nichts, falls du es nicht kannst«, fügte er hinzu und hielt mit der freien Hand ihren Kopf über Wasser. »Doch wenn du schwimmen kannst, bleibt uns mehr Zeit, darüber nachzudenken, was man von uns erwartet.«
»O ja, schwimmen kann ich«, antwortete Pamina. »a«s ich klein war, betreute mich eine Hunde-Frau, die brachte mir das Schwimmen bei, noch ehe ich richtig laufen konnte. Ar-me Rawa«, fügte sie hinzu, und Tamino wünschte, Paminas Gedanken teilen zu können, als er ihr trauriges Gesicht sah.
»Du mußt mich nicht über Wasser halten, Tamino. Ich kann schwimmen wie ein Otter-Halbling oder wie das Meer-Volk.«
Ungern ließ er Pamina los. Wenn sie beide diese und alle anderen Prüfungen überlebten, lag ein ganzes Leben vor ihnen.
∗ ∗ ∗
Die Flöte in seiner Hand mußte der Schlüssel sein. Ein-oder zweimal waren die Boten erschienen, als er spielte. Vielleicht wollte man mit dieser Prüfung feststellen, wann sie den Boden unter den Füßen verloren – das hatten sie jetzt im wahrsten Sinn des Wortes getan – und ob sie im richtigen Augenblick um Hilfe baten.
Tamino versuchte, sich im Wasser aufzurichten, damit die Wellen ihn nicht ständig überfluteten, und er die Flöte an die Lippen setzen konnte. Als er hineinblies, ertönte ein gluck-sender, wäßriger Laut…
Nach einiger Zeit gelang es ihm, einige wenige Töne hervorzubringen, die sich schließlich zu einer zaghaften Melodie vereinten.
Zunächst geschah nichts. Tamino kam es höchst albern vor, wie er mitten auf dem Meer herumschwamm und Flöte spielte. Die Wellen klatschten ihm gegen das Kinn und überfluteten die Flöte, so daß hier nur ein Gurgeln erklang.
Aus weiter Ferne, durch das Rauschen der Wellen hindurch hörte er plötzlich etwas, das ihn beinahe an Stimmen erinnerte. War es Gesang? Nein, mehr ein Pfeifen, wie Papagenos Lockruf, aber trotzdem auf unbestimmte Weise verschieden. Mit einem klatschenden Geräusch tauchte in Taminos Nähe ein Gesicht aus dem Wasser auf – ein rundes Gesicht mit Schnurrhaaren wie eine Katze. Bis auf die flache Nase und die feuchten, großen dunklen Augen unter schö-
nen langen Wimpern war es mit einem weichen Pelz bedeckt.
Pamina flüsterte: »Ein Robben-Halbling!«
Laut sagte sie: »Kannst du uns ans Ufer bringen, Schwester aus dem Meer?«
Tamino begriff nicht, woher Pamina wußte, daß es sich bei dem Meerwesen um eine Frau handelte. Vielleicht war es ei-ne Eingebung…
∗ ∗ ∗
Die halbmenschliche Frau zog sich argwöhnisch zurück, planschte in den Wellen, blinzelte, um ihre großen schönen Augen vom Wasser zu befreien und sprach: »Land? An Land machen sie Sklaven aus uns. Hier draußen im Meer haben die Menschen uns immer in Frieden gelassen. Was tut ihr hier, wohin sich nie ein Mensch verirrt?«
»Ich gehöre nicht zu den Leuten, die euch versklaven
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