Traveler - Roman
Entscheidung.«
»Aber warum begleitet Ihr Vater Sie nicht?«
Mayas Blick war starr auf den Salzstreuer in der Mitte des Tisches gerichtet. »Mein Vater ist vor einer Woche in Prag ums Leben gekommen.«
»Die Tabula?«, fragte Hollis.
»Korrekt.«
»Was ist passiert?«
»Das geht Sie nichts an.« Mayas Stimme klang beherrscht, aber ihr Körper versteifte sich vor Wut. Vicki hatte das Gefühl, der Harlequin könnte jeden Moment aufspringen und sie allesamt umbringen. »Ich habe die Aufgabe übernommen, Gabriel und seinen Bruder für eine Weile zu beschützen. Wenn das erledigt ist, werde ich den Mann zur Strecke bringen, der meinen Vater auf dem Gewissen hat.«
»Haben Michael und ich etwas damit zu tun?«, erkundigte sich Gabriel.
»Eigentlich nicht. Die Tabula hat meinen Vater zeit seines Lebens verfolgt. Vor zwei Jahren wäre er beinahe in Pakistan umgekommen.«
»Das tut mir Leid …«
»Vergeuden Sie nicht Ihre Gefühle«, unterbrach ihn Maya. »Wir empfinden nichts für den Rest der Welt, und wir erwarten nichts von ihm. Als ich ein Kind war, sagte mein Vater immer: ›Verdammt durch das Fleisch. Gerettet durch das Blut.‹ Die Harlequins sind dazu verdammt, eine endlose Schlacht zu schlagen. Aber vielleicht werden die Traveler uns vor der Hölle bewahren.«
»Und seit wann schlagen Sie diese Schlacht?«, fragte Hollis.
Maya strich sich die Haare aus dem Gesicht. »Mein Vater sagte, wir seien die Nachkommen einer ununterbrochenen, jahrtausendealten Linie von Kriegern. Zu jedem Passahfest zündete er Kerzen an und las aus Kapitel achtzehn des Johannesevangeliums vor. ›Nachdem Jesus die Nacht im Garten von Gethsemane verbracht hatte, erschien Judas in Begleitung römischer Soldaten und Offiziere. Der Hohepriester hatte sie geschickt.‹«
»Ich kenne diese Bibelstelle«, sagte Hollis. »Da gibt es ein wirklich merkwürdiges Detail. Jesus war ein Friedensstifter. Im gesamten Neuen Testament werden an keiner Stelle Waffen oder Bodyguards erwähnt, aber plötzlich zieht einer der Jünger …«
»Es war Petrus«, unterbrach ihn Vicki.
»Richtig. Jetzt fällt es mir wieder ein. Jedenfalls zieht Petrus sein Schwert und schneidet einem Knecht des Hohepriesters ein Ohr ab, der Mann hieß …«
»Malchus.«
»Wieder richtig.« Hollis nickte. »Der Bösewicht steht da im Garten rum und hat nur noch ein Ohr.«
»Einige Gelehrte vertreten die Ansicht, Petrus sei ein Zelot gewesen«, erklärte Maya. »Aber mein Vater hat daran geglaubt, dass es sich bei ihm um den ersten in einem historischen Dokument erwähnten Harlequin handelte.«
»Wollen Sie damit sagen, dass Jesus ein Traveler war?«
»Harlequins sind Krieger, keine Theologen. Wir urteilen nicht darüber, welcher Traveler die wahre Verkörperung des Lichts ist. Vielleicht war Jesus der bedeutendste Traveler – oder Mohammed oder Buddha. Vielleicht war es aber auch ein unscheinbarer chassidischer Rabbi, der dem Holocaust zum Opfer fiel. Wir verteidigen die Traveler, aber wir urteilen nicht über ihre Heiligkeit. Das überlassen wir den Gläubigen.«
»Trotzdem hat Ihr Vater die Bibel zitiert«, warf Gabriel ein.
»Ich gehöre zum europäischen Zweig der Harlequins, der dem Christentum nahe steht. Tatsächlich lesen manche Harlequins im Johannesevangelium noch weiter. ›Nachdem man Jesus abgeführt hatte, hat Petrus …‹«
»›… ihn im Stich gelassen.‹« Hollis wandte sich vom Herd um. »Er war ein Apostel, aber er verleugnete seinen Gott dreimal.«
»Der Legende nach sind die Harlequins seither verdammt. Weil Petrus sich in jenem Moment illoyal verhielt, müssen wir die Traveler bis ans Ende der Zeit verteidigen.«
»Hört sich an, als würden Sie nicht dran glauben«, sagte Hollis.
»Es ist bloß eine Geschichte aus der Bibel. Ich beziehe sie nicht auf mich persönlich. Ich glaube trotzdem daran, dass eine geheime Weltgeschichte existiert. Es hat zu allen Zeiten Krieger gegeben, die Pilger oder andere spirituelle Menschen beschützt haben. Während der Kreuzzüge hat eine Gruppe christlicher Ritter für den Schutz der Pilger im Heiligen Land gesorgt. Balduin II., König von Jerusalem, überließ ihnen seinen Palast über dem früheren jüdischen Tempel. Von da an
nannten sie sich die ›Armen Soldaten Christi‹ oder ›Ritter des Salomotempels‹.«
»Hießen sie ursprünglich nicht ›Templer‹?«, fragte Hollis.
»Ja, das ist der gebräuchlichere Name. Die Templer entwickelten sich zu einem reichen und mächtigen Orden,
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