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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Für Wolfgang, der mein Leben gut macht.
    1. Auflage Oktober 2005 2. Auflage November 2005
    © 2005  
    Bindungen sind Ketten, geschmiedet aus Liebe und Schwermut. Besonders in jüdischen Familien.
    Die haben zu viel hergeben müssen. Die Winken nicht und sie lächeln nicht, wenn sie Abschied nehmen. Denen bricht auch die kleinste Trennung das Herz.
Die lange Reise
Nairobi 1967
    »Gemütlich«, sagte David Procter, als er den mit Zebrafell bezogenen Hocker am Fenster entdeckte. Wie sonst auch blieb das seltsame deutsche Wort mit dem verrückten Umlaut in seinem Hals stecken. Auch wusste er nie so recht, was es wirklich bedeutete. Trotzdem fand er es lustig und vielleicht gar treffend für ein schwarz-weiß gestreiftes Sitzmöbel in einem Hotel in Afrika. Selbst für einen Gnom erschien ihm der Hocker zu niedrig. Um ein Haar hätte er sich für den banalen kleinen Scherz selbst Beifall geklatscht. David wurde ärgerlich, als ihm aufging, dass er sich bereits die Hände rieb und in welche Richtung seine Gedanken trieben, denn er neigte sonst nicht dazu, seine Person oder seine Leistungen zu überschätzen. Im Gegenteil. Der früh gereifte Vierzehnjährige hielt sich für beklagenswert unvollkommen und die Welt erst recht, und er ließ selten eine Gelegenheit aus, seinen Zuhörern das klar zu machen - so er irgendjemanden fand, der bereit war, sich mit ihm länger zu beschäftigen, als es die Höflichkeit gegenüber einem enervierend eloquenten Teenager erforderte.
    Seine geduldige Großmutter fiel ihm ein und dass sie ihm zum Abschied zwischen Haustür und Gartentor in ihrem schwer zu verstehenden Gemisch aus Englisch und Deutsch
    eine Mahnung - oder war es eine Beschwörung? - zugeflüstert hatte. Wie meistens, hatte David höchstens jedes dritte Wort verstanden, doch das hatte er sich, ebenfalls wie gewohnt, nicht anmerken lassen. Er hatte sie besonders herzlich an sich gedrückt und sich ohne eine Geste der Abwehr küssen lassen. Er wusste, dass sie Abschiede hasste, doch nun glaubte er zum ersten Mal zu wissen, was der Satz bedeutete.
    David hatte bereits als Vierjähriger die Gewohnheit entwickelt, so zu tun, als wäre seine Großmutter wie die anderen alten Frauen, die er in der Synagoge oder auf jenen jüdischen Veranstaltungen und Feiern sah, an denen mehrere Generationen einer Familie teilnahmen. Ohne dass ihn je einer dazu hatte anhalten müssen, hörte er seiner Großmutter mit einem Ernst und einer Geduld zu, die sie sehr rührten. Er zappelte nicht und schnitt keine Grimassen, wenn er nicht sofort begriff, was sie von ihm wollte, und er bemühte sich, nicht zu lachen, wenn sie einen besonders komischen Fehler machte. Seine Mutter, die nie etwas erklärte, wenn sie nicht eigens darum gebeten wurde, tat so, als wäre Davids Ritterlichkeit eine selbstverständliche Tugend bei einem kleinen Jungen. Sein Vater war da anders. Der geizte nie mit Bewunderung oder Lob und sagte meistens genau das, was ein Kind entzückte. »Die Rücksichtsvollen marschieren immer mit schwerem Gepäck durchs Leben, David«, erkannte er, als er zum ersten Mal im Detail eine der zweisprachigen, stolpernden Unterhaltungen zwischen Großmutter und Enkelsohn mitbekam. »Ich beneide mich sehr.«
    »Warum?«, hatte David wissen wollen.
    »Kannst du dir vorstellen, dass es noch mehr Männer gibt, die einen Sohn haben wie ich?«
    Als seine Gedanken ohne die Spur einer Vorwarnung zurück nach London flogen, fühlte David sich nicht ganz wohl. Umso tröstlicher empfand er es, an seine Kindheit zu denken. Rückblicke und Erinnerungen waren wie gute Freunde, vertraut und zuverlässig und nie fordernd. Er nahm sich vor, in den nächsten vier Wochen für alle Leute, mit denen er zu tun haben würde, so viel Verständnis zu haben wie für »Granny Gram Gramps«. Den Spitznamen, den die Großmutter ihr Lebtag nicht als ein Verballhornen aus Oma und Brummbär erkennen würde, hatte seine Schwester Rose erfunden. Rose war eine Meisterin im Erfinden von Spitznamen. Besonders für ihren Bruder.
    David stellte sich vor, Rose würde neben ihm sitzen. Um ihr zu beweisen, dass er auch zu ihr freundlich und sanft sein konnte, wenn er nur wollte, probierte er, wie sein Vater zu lächeln. Er fand es immer wieder bewundernswert, dass sein Vater selbst in solchen Momenten gut gelaunt blieb, die es wahrhaftig nicht verdienten, mit einem Lächeln bedacht zu werden. Das Lächeln, das der Sohn dieses liebenswürdigen Vaters zuwege brachte, geriet allerdings zur

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