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Und oben sitzt ein Rabe

Und oben sitzt ein Rabe

Titel: Und oben sitzt ein Rabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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sich und griff mit der linken Hand nach dem Revolver, der zu seinen Füßen auf dem Eis lag.
    In diesem Moment startete Poe. Andreas behauptete hinterher, es müsse die Attraktion des Blutes gewesen sein, und Baltasar erinnerte sich Poes erster Attacke auf ihn, als er vor Wochen Großvater Goldbergs Haus betreten hatte.
    Stücker richtete sich auf, als er den schwarzen Ball auf sich zukommen sah. Mit einem qualvollen Aufschrei ließ er die Waffe fallen und griff sich an den Kopf. Er erwischte Poe, riß ihn von seinem Gesicht und blieb einen Moment unbeweglich stehen.
    Baltasar machte noch ein paar Schritte. Stücker starrte ihm entgegen. Die rechte Hand hing kraftlos herab, in der linken hielt er den zeternden Raben, der plötzlich verstummte, weil Stückers Finger sich verkrampften und ihm das Genick brachen. Dann ließ der Mann den Vogel fallen.
    Baltasar hob seine Waffe, ließ sie aber wieder sinken. Er sah, wie Stücker die Zähne fletschte und mit der linken Hand in sein Gesicht faßte. Er tastete nach seinem linken Auge, aber dort klaffte nur die gräßliche Wunde, die Poes Schnabel hinterlassen hatte. Er öffnete den Mund, aber es kam nur ein Stöhnen heraus. Dann drehte er sich um und torkelte in den Nebel hinein.
    Baltasar brachte es nicht fertig, die Waffe noch einmal zu heben. Langsam ging er dorthin, wo der Rabe lag, und hob ihn auf. »Kein Heldengrab«, sagte er leise, »aber ein Ehrenfeuer.«
    Henry klopfte ihm wortlos auf die Schulter und bückte sich nach Stückers Revolver. Er war blutverschmiert.
    »Wo hast du ihn getroffen?« sagte er.
    Baltasar schwieg und starrte in den Nebel. »Rechte Hand«, sagte er schließlich heiser, »und linkes Bein. Und Poe das linke Auge.« Er hob den toten Vogel hoch.
    Henry blickte auf das Tier und sagte nur: »Aha.«
    Baltasar steckte Poe in seine Jackentasche. Leise summend, wie man summt, wenn man im Keller ist oder sich auf eine Melodie konzentriert, um ein Entsetzen zu überwinden, ging er ein paar Schritte, bückte sich, nahm die Mappe auf, die Stücker getragen und verloren hatte, begab sich zum Jeep, blickte in das zertrümmerte Vehikel und wandte sich wieder Henry zu.
    »Wenn du«, sagte er leise, »nichts verrätst, verrate ich dir was. Wenn es denn schon sein mußte, hätte ich richtig treffen sollen, um ihm etwas zu ersparen. Ein guter Pistolero wird nie aus mir.«
    Henry boxte ihm in den Bauch. »Dafür hast du andere Eigenschaften.«
    Baltasar hob die Brauen. »Schluß mit den Sentiments. Zurück zu Andreas.« Er drehte sich um.
    »Was ist in der Mappe?« sagte Henry, während sie durch den Nebel stapften.
    »Papierchen. Einige beschrieben, die dürften Ziegler & Co. interessieren, andere bunt bedruckt, die mich mehr interessieren. Jetzt jedenfalls.«
    Andreas saß blaß auf dem Beifahrersitz, die rechte Hand zwischen zwei Knöpfe seines Mantels geschoben.
    »Habt ihr«, sagte er trotzig, wenn auch mühsam, »da hinten einen Western synchronisiert, oder was? Dieses Geballere.«
    Sie bastelten mit Binden aus der Autoapotheke einen Notverband und eine Behelfsschlinge, in die er den Arm betten konnte, während sie ihm Bericht erstatteten.
    Schließlich bat Baltasar ihn um die Erlaubnis für eine kleine Amtshandlung. Mit einiger Gewalt öffnete er den Kofferraum und holte den Benzinkanister heraus. Dann ging er ein paar Schritte vom Wagen fort, legte Poes Überreste aufs Eis, begoß sie mit Benzin, suchte nach Streichhölzern und riß eines an, das er in die Lache warf.
    Stumm betrachteten sie das Feuerwerk; als alles verbrannt war, zerstreuten sie die wenige Asche.
    Baltasar ging um seinen zertrümmerten Wagen herum und schnaubte. »Na ja«, sagte er, »hast dich tapfer geschlagen. Und ich brauchte sowieso einen neuen.«
    Dann wandte er sich Andreas zu. »Die Frage ist jetzt, wie kriegen wir dich zum nächsten Krankenhaus.«
    »Ich kann laufen.«
    Henry zeigte ihm einen Vogel. »Bis zum Deich sind's ein paar Kilometer, schätzungsweise. Und leckeres Eis. Was haben wir davon, wenn du da noch ein paarmal ausrutschst?«
    Er tat einige Schritte vom Wagen weg. »Ich glaube, ich werde vorsichtig, um nicht im Nebel hängenzubleiben, die Pfosten entlang wandern und zusehen, daß ich Hilfe hole. Ich kann ja auch mal was tun. Du brichst dir den Arm, Baltasar ballert, ich wandere.«
    Er brauchte allerdings nicht weit zu gehen. Bald kam ihm ein vorsichtig gesteuerter Polizeiwagen entgegen. Man hatte aus dem umgefahrenen Sperrbock und aus Berichten von Anwohnern über

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