Und weg bist du (German Edition)
Ich befand mich drei Stunden von meinem sicheren Zuhause entfernt und hatte mich nicht mehr so gefürchtet, seit ich diese Stadt im Norden des Bundesstaats New York vor fünf Jahren verlassen hatte. Den Regen, der mir erbarmungslos auf den Körper und ins Gesicht prasselte, nahm ich kaum wahr. Die Angst schaltete jegliches Schmerzempfinden aus.
Zwei Autos näherten sich mit hohem Tempo. Ihre Scheinwerfer blendeten mich wie Blitzlichter. Schnell wich ich einen Schritt zurück in die Dunkelheit. Das Herz schlug mir bis zum Hals und meine Lungen brannten. Nachdem sie vorbeigefahren waren, sprintete ich über die breite Straße. Auf dem Public Square angekommen lief ich an dem Lady-Spray-Brunnen vorbei, dessen Wasser im Regen plätscherte, und weiter an den großen Backsteingebäuden entlang, die den Platz säumten und in deren Schatten ich mich etwas weniger angreifbar fühlte. Von dort bog ich in eine Gasse ein und huschte dann über den leeren Parkplatz einer Bank. Es war nicht mehr weit! Beim Laufen kreisten meine Gedanken um eine einzige Frage: Wird er noch da sein?
Noah Collier war ein Gewohnheitsmensch. Nur in diesen Gewohnheiten bestand meine Chance, ihn zu finden. Kurze Zeit später bog ich um eine Ecke und sah mein Ziel vor mir: ein schlecht beleuchteter Parkplatz. Eilig schaute ich mich um und Erleichterung machte sich in mir breit, als ich seinen schwarzen Jeep Cherokee erblickte.
Ich musterte das Gebäude aus grauem Stein. Er war also noch im Dojo, um zu trainieren, doch ich konnte unter keinen Umständen in die Kampfsporthalle hineinmarschieren und nach ihm Ausschau halten. Stattdessen musste ich warten. Aber wie lange? Einfach auf dem Parkplatz stehen zu bleiben, für meine Verfolger deutlich sichtbar, war ausgeschlossen. Deshalb lief ich zu seinem Wagen, wischte mir die nassen Haare aus dem Gesicht und versuchte die Tür zu öffnen. Abgeschlossen. Dann fiel mir der gestrige Abend ein, als ich ihn ausspioniert hatte. Er hatte mehrere Kisten aus dem Kofferraum des Jeeps geholt. Ich ging nach hinten und probierte die Klappe. Sie war unverschlossen.
Nachdem ich eine Kiste Wasserflaschen beiseitegeschoben hatte, kletterte ich hinein, was nicht gerade leicht war. Immerhin bin ich fast eins fünfundachtzig und damit ziemlich groß für ein Mädchen. Ich rollte mich zusammen, so gut es ging, und zog die Klappe zu. Dann lag ich im Dunkeln und lauschte, wie der Regen aufs Dach trommelte, während sich mein Atem langsam beruhigte. Vielleicht war dies ohnehin die bessere Lösung, denn wahrscheinlich wäre Noah nicht begeistert mich auf dem Beifahrersitz zu erblicken.
Es tat gut, dem Regen entkommen zu sein, doch ich wusste, dass mich jemand verfolgte, und meine Angst verschlimmerte sich, als mir klar wurde, wie ausgeliefert ich hier war. Eingequetscht im Kofferraum und unbewaffnet konnte ich mich kaum bewegen, geschweige denn verteidigen. Ich lauschte angestrengt durch das Prasseln des Regens hindurch auf Schritte. Wenn mich tatsächlich jemand beschattet hatte, würde, wer auch immer es war, in wenigen Sekunden hier sein. Ein erneuter Adrenalinschub brachte mich fast dazu, aus dem Fenster zu schauen. Ich unterdrückte den Impuls jedoch und nach einigen Minuten erlaubte ich mir den Gedanken, dass ich davongekommen sein könnte.
Jetzt, da ich ruhig dalag, begann ich zu frieren und ertappte mich bei dem Wunsch, Noah würde bald kommen. Auch wenn ich keine Ahnung hatte, wie ich mich dann verhalten sollte, da er mir unter Umständen nicht viel Zeit für Erklärungen lassen würde. Fröstelnd versuchte ich, es mir so bequem wie möglich zu machen, und wartete. Ich war nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Wie hatte es so weit kommen können?
Als ich Noah den Tag über beobachtet hatte, war ich zu keiner Zeit davon ausgegangen, ihn anzusprechen. Doch vor etwas weniger als einer Stunde war mein Auto vom Parkplatz eines Internetcafés gestohlen worden. Darin lag fast alles, was ich aus dem Haus meiner Pflegeeltern in Troy mitgenommen hatte, unter anderem Geld, Kleidung, Handy und Laptop. Was mir noch blieb, waren einige Ausweise, die Schlüssel zu dem gestohlenen Wagen und der Brief, der mich überhaupt dazu veranlasst hatte, hierherzukommen.
Noch beunruhigender aber war, dass ich das Gefühl hatte, verfolgt zu werden. Mein Instinkt, der mich fast in den Wahnsinn trieb, sagte mir, dass derjenige, der mein Auto gestohlen hatte, es nicht dabei belassen würde. Da die Polizei von Watertown nicht in Frage
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