Verbrechen und Strafe (Übersetzung von Swetlana Geier)
Pyramide! Eine Fliege ist vorbeigeflogen, und die hat es gesehen! Ist es denn möglich? ... –
Er fühlte mit Ekel, wie schwach er geworden war, physisch schwach.
– Nein, solche Menschen sind nicht so gemacht; ein wahrer Herrscher, dem alles erlaubt ist, bombardiert Toulon, veranstaltet ein Gemetzel in Paris, vergißteine Armee in Ägypten, verlierteine halbe Million Menschen im Moskauer Feldzuge und zieht sich in Wilna durch ein Wortspiel aus der Affäre, und doch errichtet man ihm nach seinem Tode Denkmäler –, also ist alleserlaubt. Nein, solche Menschen sind offenbar nicht aus Fleisch, sondern aus Bronze gemacht! –
Ein plötzlicher, ganz abseits liegender Gedanke brachte ihn fast zum Lachen.
– Napoleon, die Pyramiden, Waterloo, und die magere alte Registratorswitwe, die Wucherin mit der roten Truhe unter dem Bette, wie soll das selbst ein Porfirij Petrowitsch verdauen können! ... Wie sollen sie es auch verdauen! ... Diese Ästhetik ist ihnen im Wege: »Wird so ein Napoleon«, werden sie sagen, »zu so einer Alten unters Bett kriechen! Ach, ekelhaft!«
Zeitweise schien es ihm, daß er phantasiere; er verfiel in eine fieberhafte Verzückung.
– Die Alte ist Unsinn! – sagte er sich erregt und stoßweise. – Die Alte ist vielleicht ein Irrtum, und es handelt sich gar nicht um sie! Die Alte war nur eine Krankheit ... ich wollte nur schnell hinüberschreiten ... ich habe nicht einen Menschen getötet, ich habe ein Prinzip getötet! Das Prinzip habe ich wohl getötet, bin aber nicht hinübergeschritten, ich bin diesseits geblieben ... Ich verstand nur zu töten! Und auch das habe ich nicht mal verstanden, wie es sich jetzt herausstellt ... Das Prinzip? Warum hat der einfältige Rasumichin vorhin so auf die Sozialisten geschimpft? Sie sind doch fleißige und betriebsame Leute; sie befassen sich mit dem ›allgemeinen Glück‹. Nein, das Leben ist mir nur einmal gegeben und wird sich nie wiederholen; ich will nicht auf das ›allgemeine Glück‹ warten. Ich will auch selbst leben, sonst lieber gar nicht leben. Nun, ich wollte nur nicht an einer hungrigen Mutter, meinen Rubel in der Tasche festhaltend, vorbeigehen in Erwartung des ›allgemeinen Glücks‹. ›Ich trage einen kleinen Baustein zum allgemeinen Glück bei mir und fühle darum Seelenruhe.‹ Hahaha! Warum seid ihr an mir vorbeigegangen? Ich lebe ja nur ein einziges Mal, ich will ja auch ... Ach, ich bin nur eine ästhetische Laus und mehr nicht – fügte er plötzlich hinzu, wie ein Irrsinniger lachend. – Ja, ich bin tatsächlich eine Laus – fuhr er fort, sich mit Schadenfreude an den Gedanken klammernd, in ihm wühlend, mit ihm spielend, sich über ihn freuend. – Und schon aus dem Grunde, weil ich, erstens, jetzt daran denke, daß ich eine Laus bin; zweitens, weil ich einen ganzen Monat lang die allgütige Vorsehung belästigte, indem ich sie zum Zeugen anrief, daß ich es nicht um meines Fleisches und meiner Lust willen unternehme, sondern ein großartiges und angenehmes Ziel vor mir habe – haha! Und drittens, weil ich mir vorgenommen hatte, die größtmöglichste Gerechtigkeit, Gewicht und Maß und die Arithmetik bei der Ausführung zu beobachten: unter allen Läusen hatte ich die nutzloseste gewählt und mir vorgenommen, nach ihrer Ermordung von ihr nur so viel zu nehmen, als ich für den ersten Schritt brauche, nicht mehr und nicht weniger (der Rest würde aber laut Testament dem Kloster zufallen –, ha ha! ...). Ich bin darum endgültig eine Laus – fügte er zähneknirschend hinzu –, weil ich vielleicht noch ekelhafter und schlimmer bin als die ermordete Laus und weil ich vorausahnte, daß ich mir dies alles nachdem Morde sagen würde! Läßt sich denn etwas mit diesem Entsetzen vergleichen?! Oh, diese Banalität! Oh, diese Gemeinheit! ... Oh, wie ich den ›Propheten‹ mit dem Säbel in der Hand, auf dem Pferde reitend, begreife: Allah befiehlt, und die ›zitternde‹ Kreatur muß gehorchen! Recht, tausendmal recht hat der Prophet, wenn er irgendwo quer über die Straße eine orrrdentliche Batterie aufstellt und den Unschuldigen und Schuldigen niederknallt, ohne sich sogar zu einer Erklärung herabzulassen! Gehorche, zitternde Kreatur, und wolle nichts, denn es ist nicht deine Sache! ... Oh, um nichts in der Welt werde ich es der gemeinen Alten verzeihen! –
Sein Haar war mit Schweiß bedeckt, die zitternden Lippen waren eingetrocknet und der starre Blick auf die Decke gerichtet.
– Mutter, Schwester, wie liebte
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