Vergiftet
angefangen hat zu arbeiten. Vor Jonas’ Tod war der ehemalige Geldeintreiber ständig in den Zeitungen, häufig mit einem breiten Grinsen, gerne in Begleitung seiner Glamourmodel-Gattin.
»Nein«, sagt Henning.
Pulli lacht.
»Was ist so komisch?«
»Sorry, ich habe nur …« Er lässt die Fortsetzung unausgesprochen in der Luft hängen.
»Sie haben nur was ?«
»Dann wissen Sie gar nicht, dass ich sitze?«
»Nein.«
»Okay, wahrscheinlich hatten Sie in den letzten Jahren anderes im Kopf. Ich rufe Sie an, weil Sie ein fähiger Journalist und ein guter Spürhund sind.«
»Wissen Sie etwas über den Brand in meiner Wohnung?«
Es wird still, lange. Dann antwortet Pulli: »Ja.«
Henning bleibt wie angewurzelt stehen. Pullis dunkle Stimme bohrt sich in sein Bewusstsein. Der Ernst und die Tiefe seiner Stimme. Er macht keine Witze.
»Sind Sie noch da, Juul?«
»Was wissen Sie über den Brand?«, fragt Henning und versucht gar nicht erst, die Aggression zu verbergen, die unter der Oberfläche lauert. »Haben Sie das Feuer gelegt?«
»Nein.«
»Wer war es dann?«
»Bevor ich darauf näher eingehe, müssen Sie etwas für mich tun.«
»Was?«
»Sie wissen offensichtlich nicht, warum ich sitze. Wenn Sie das rausgefunden haben, sprechen wir uns wieder.«
Henning marschiert aufgewühlt durch die Wohnung. »Sie können doch nicht anrufen und erwarten, dass ich …«
»Ich darf nicht mehr als zwanzig Minuten pro Woche telefonieren, Juul. Ich will auch noch was für Veronica übrig haben.«
»Was wissen Sie über den Brand?«, ruft Henning und bleibt vor seinem Klavier stehen. »Was wollen Sie von mir? Warum rufen Sie mich an?«
Es wird still. Henning hält die Luft an.
»Weil Sie für mich herausfinden sollen, wer mir diese Scheißfalle gestellt hat«, sagt Tore Pulli langsam. »Sie sollen herausfinden, wer hier eigentlich sitzen sollte. An meiner Stelle. Gelingt Ihnen das, sage ich Ihnen alles über den Brand in Ihrer Wohnung. Alles, was ich weiß.«
8
Henning legt das Telefon weg, fährt sich mit klammen Händen durchs Haar und läuft mit schnellen Schritten in seinem Wohnzimmer auf und ab. Wie zum Henker konnte ein Mann wie Tore Pulli etwas über den Brand bei ihm wissen? Was wusste er? Und warum hat er nicht schon längst etwas darüber gesagt?
Säße Pulli nicht im Gefängnis, würde Henning sofort zurückrufen, ihn bedrängen und nicht eher aufgeben, bis er ihm ein paar Antworten abgerungen hätte. Aber man kann nicht einfach zum Osloer Stadtgefängnis fahren und an die Tür klopfen. Erst muss Pulli ihn auf die Besuchsliste setzen, dann muss Henning einen Besuchsantrag stellen, und schließlich muss die Gefängnisverwaltung seine Personennummer noch mit dem Strafregister abgleichen. Obwohl er Journalist ist, kann es Tage, ja Wochen dauern, bis er eine Besuchserlaubnis erhält.
Gleichzeitig wird ihm bewusst, dass er auf eine Frage damit bereits eine Antwort erhalten hat, vielleicht sogar auf die wichtigste all seiner Fragen. Es gibt jemanden, der etwas weiß. Vielleicht hat wirklich jemand diesen Brand gelegt!
Aufgeregt setzt Henning sich an seinen Computer und googelt Pullis Namen. Er erinnert sich nicht daran, wann sein Herz zuletzt derart gehämmert hat. Schon eine Sekunde später hat die Suchmaschine Tausende von mehr oder minder relevanten Antworten gefunden. Henning sieht ein Bild von Pullis Festnahme, ein Foto vor dem Gericht und eines während des Verfahrens, als er sich mit Menschen unterhält, die der Kamera den Rücken zugewandt haben.
Pulli ist eine imposante Erscheinung. Stiernacken, breite Schultern, ein gewaltiger Brustkorb und Oberarme, so dick wie normale Oberschenkel. Der Körper passt zu seiner Stimme. Tief, kräftig, beängstigend. Auf einigen der älteren Fotos hat er auch noch Piercings über den Augen. Wie die Ringe in seinen Ohren verstärken diese sein Schlägerimage, einen Look, den er ablegte, als er in der Immobilienbranche begann.
Henning klickt einen Artikel bei Dagbladet.no an.
PULLI LACHTE, ALS ER DAS URTEIL HÖRTE:
VIERZEHN JAHRE
Tore Pulli wurde am Freitag zu vierzehn Jahren Haft wegen des Mordes an Joachim »Jocke« Brolenius verurteilt.
Joachim Brolenius, sagt Henning zu sich selbst und versucht, den Namen einzuordnen. Nie gehört, denkt er schließlich und liest weiter.
Der profilierte Immobilienspekulant Tore Pulli lächelte und schüttelte den Kopf, als er am Freitagvormittag vom Tinggericht in Oslo zu vierzehn Jahren Haft wegen des Mordes an Jocke
Weitere Kostenlose Bücher