Violet - Verletzt & Versprochen & Erinnert (German Edition)
Du sollst meinen Namen nicht missbrauchen, denn ich lasse den nicht ungestraft, der meinen Namen missbraucht.
4. Gebot: Vermisse nicht deinen Vater und deine Mutter, damit du lange lebst in den Sektionen, die ich, dein Oberster Gesandter, dir geschenkt habe.
5. Gebot: Du sollst die Bestien morden.
6. Gebot: Du sollst nichts Falsches gegen einen Gesandten sagen.
7. Gebot: Du sollst keine Schwäche zeigen.
Denk immer daran: Wie ich, der Oberste Gesandte, euch in den Krieg gegen die Bestien mit starker Hand und hoch erhobenem Schwert geführt habe und wie siegreich wir zurückgekehrt sind.“
„Amen“, sage ich.
Ich habe diese Gebote noch nie gemocht. Sie kommen mir nicht richtig vor, auch wenn sie uns immer und immer wieder von den Gesandten eingetrichtert werden und sie bei jeder bisherigen Prüfung abgefragt wurden. Ich werde sie lernen müssen, will ich bestehen. Jesse hat recht. Es ist gut, dass er mich daran erinnert. Ich höre ihm zu, was er mir zu sagen hat, und gemeinsam gehen wir die Themen durch, die ich, in den mir verbleibenden sechs Tagen, lernen werde. Die 7 Gebote und wie sie entstanden sind, gehören selbstverständlich dazu. Auch die Geschichte der Gesandten werde ich lernen und dann das, was mir noch völlig fremd ist: Die neusten Studien über die Bestien. Das ist etwas, das mich sogar irgendwie interessiert, weil es mir im Kampf nützen kann, mehr über die Bestien zu wissen.
„Du wirst das schon schaffen, du wirst schon sehen“, sagt Jesse, nachdem wir alle Bücher zu einem erschreckend großen Turm aufgestapelt haben, die ich in den nächsten sechs Tagen lesen und verstehen muss. Und das ist nur ein kleiner Anteil dessen, was die Gesandten in den Prüfungen abfragen können.
„Mut zur Lücke“, sage ich, weil mir gar nichts anderes übrig bleibt.
„Wenn sie dich exsektionieren, dann gehe ich mit dir!“, sagt er plötzlich.
„Das ist totaler Quatsch!“
„Ich lasse dich nicht allein da draußen…“, er bringt den Satz nicht zu Ende.
„Sterben? Toll, dann geh mit und wir sterben beide! Das ist echt eine tolle Idee.“ Jesse schweigt.
„Wenn du mir wirklich helfen willst, dann bleib hier. Bleib hier bei Asha und kümmere dich um sie. Sie hat Probleme damit, sich an das 4. Gebot zu halten“, sage ich und denke, dass sie auch Probleme mit dem 7. Gebot und wer weiß, mit welchem sonst noch hat.
„Sie vermisst ihre Eltern?“, fragt Jesse. „Sie kennt sie doch gar nicht.“
„Sie kennt sie so wenig wie du und ich unsere eigenen, aber sie vermisst etwas.“ Etwas, das ich auch vermisse, füge ich in Gedanken hinzu. „Sie vermisst Geborgenheit und Liebe. Mein Gott, sie ist noch ein Kind.“
Jesse schaut mich an, dann nickt er als Zeichen, dass er mich verstanden hat.
„Versprichst du mir, dass du auf sie aufpasst?“, frage ich. Wieder ein Versprechen. Heute schon das Zweite, aber dieses Mal denke ich, dass es tatsächlich eingelöst werden kann. Jesse nickt, küsst seine Faust und streckt sie mir entgegen. Das ist unser stilles Zeichen. Wir verständigen uns damit auf der Jagd. Es bedeutet, ich bin bereit zu kämpfen und zu sterben, wenn es sein muss.
„Und du versprichst mir, alles Erdenkliche zu tun, dass es nicht so weit kommt“, sagte er. Ich nicke, küsse meine Faust und strecke sie seiner entgegen, bis sie sich berühren. Der einzige Kuss, zu dem wir uns trauen. Ich lächle.
Kapitel 8
Den ledernen Ohrensessel habe ich an die große Glasfront geschoben. Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne krallen sich an der Skyline von Zone eins fest, doch schließlich zieht der Sog der bevorstehenden Nacht auch sie hinfort.
Zurück bleibt der atemberaubende Ausblick auf das Lichtermeer, der unter mir liegenden City. Das künstliche Licht macht auf seine Art die Nacht zum Tag. Es wird mich diese Nacht nicht alleine lassen. In dieser Nacht, in der ich nicht vorhabe, eine Sekunde zu schlafen.
Ich nehme mir das oberste Buch vom Stapel.
„Kampf um New York.“
Ich habe den Wälzer einmal gelesen, vor zwei Jahren. Der Inhalt ist mir noch einigermaßen gegenwärtig. New York war die Stadt, in der alles begann. Die Bestien haben sie überrannt und innerhalb nur eines Tages eingenommen. In diesem Buch wird auf mehr als 300 Seiten in allen Einzelheiten beschrieben, wie grausam und unbarmherzig sie dabei vorgegangen sind. Straße für Straße, Häuserblock für Häuserblock, bis sie alle Menschen getötet hatten. Alle Menschen?
Natürlich nicht! Nicht alle
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