Von den Sternen gekuesst
Worte klangen bitter. Mein Geist muss anwesend sein, damit sie meine Kräfte auf sich übertragen kann. Es vergingen ein paar Sekunden, bevor ich seine Stimme wieder hörte. Lieber würde ich gar nicht mehr existieren, als Violette zu der Macht zu verhelfen, mit der sie dann meine Anverwandten vernichten kann.
Ich sah das anders. So existierte Vincent wenigstens noch, wenn auch bald ohne seinen Körper. Der Junge, den ich so verzweifelt liebte, war nicht vollständig verschwunden. Das ist wenigstens etwas , dachte ich mit einem Funken Hoffnung. Doch dann wurde mir die Tragweite des Ganzen bewusst. Ich werde ihn nie wiedersehen. Ich werde nie wieder seine Hände spüren, seine Lippen. Nie wieder. Mein letztes bisschen Hoffnung verschwand.
In mir kämpfte die Wut mit der Verzweiflung. »Warum ausgerechnet du?«, fragte ich. »Warum hast ausgerechnet du die Kräfte, für die sie sogar bereit ist zu morden?«
Wenn ich es nicht gewesen wäre, hätte es jemand anderen getroffen.
»Ich wünschte, es hätte jemand anderen getroffen«, erwiderte ich voller Egoismus. »Ich will, dass du weiterlebst.« Dabei wusste ich genau, dass Vincent in diesem Punkt nicht meiner Meinung war. Er existiere ja nur, weil er sich für andere opferte. Und um für die Sicherheit seiner Anverwandten zu sorgen, würde er keine Sekunde zögern.
Ich schaute auf das sich kräuselnde Wasser und ließ Vincent vor meinem geistigen Auge erscheinen. Das matte schwarze Haar. Das strahlende Blau seiner dunklen Augen. Seine große, kräftige Statur. Vincents Abbild hing einen Moment über der Wasseroberfläche und schimmerte durchsichtig im Mondlicht, dann löste es sich wieder in Nichts auf.
Ich möchte nicht dabei zusehen, wie sie meinen Körper verbrennt.
Angst lag in seiner Stimme. Vincent war schon viele brutale Tode gestorben, doch dieser würde sein endgültiger sein. Ich wollte seine Hand halten, ihn berühren. Ihn trösten. Doch dazu blieben mir nur Worte. »Dann geh nicht zurück. Bleib bei mir, bis es vorbei ist.« Ich wollte mutig klingen, zitterte aber gleichzeitig.
»Ich liebe dich.« Während ich das sagte, gab ich mir große Mühe, nicht zu weinen. Mich trauern zu sehen, war wirklich das Letzte, was Vincent jetzt brauchte.
Du bist mein Leben, Kate. Um mit dir zusammen zu sein, habe ich gegen meine Bestimmung angekämpft und davon bin ich immer noch völlig ausgelaugt. Ich kann Violette nicht aufhalten.
Darauf konnte ich nichts mehr erwidern. Wenn ich den Mund geöffnet hätte, wären ihm nur Schreie entwichen. Es fühlte sich an, als würde mir das Herz aus der Brust gerissen, weil ich kurz davor stand, den Jungen zu verlieren, den ich liebte. Der Junge, für den ich so viel geopfert hatte – allem voran meinen Selbsterhaltungstrieb –, wurde mir von einer Größenwahnsinnigen genommen und ich konnte absolut nichts dagegen tun. Die Tränen ließen sich nicht länger unterdrücken: Ich fing wieder an zu weinen. Doch diesmal nicht aus Traurigkeit. Meine Tränen waren das Zeichen ohnmächtiger Wut.
Würdest du Jean-Baptiste und den anderen etwas von mir ausrichten?
»Natürlich«, keuchte ich, da ich vor lauter Hass auf Violette kaum sprechen konnte.
Sag ihnen, dass meine Kräfte sich nicht vollständig auf Violette übertragen werden, weil ich mich ihr nicht freiwillig geopfert habe. Das ist das einzig Positive, was ich gerade sehen kann.
Außerdem möchte ich mich bei JB entschuldigen. Für meine Zweifel , fuhr er fort. Ich hätte das alles gern schon damals verstanden, als ich noch eine Chance hatte zu handeln.
»Ich werde es ihnen ausrichten.« Mein Atem formte sich zu kleinen Wölkchen in der kalten Luft. Schnell rieb ich mir mit den Händen die Arme, sprang auf und lief von der Brücke auf die Promenade, eilig La Maison ansteuernd. Ich wusste, dass Vincents Geist mich begleiten würde. Selbst wenn wir ihn nicht mehr retten konnten, musste ich die anderen dennoch informieren.
Kate, erst als ich dich das erste Mal sah, bin ich wirklich zu mir gekommen.
Ich hatte mich gerade noch so weit zusammenreißen können, um einen Fuß vor den anderen zu setzen, doch diese Liebeserklärung von dem Jungen, den ich so bald verlieren würde, war zu viel für mich. Paris verschwamm vor meinen Augen, während er weitersprach.
Etwas in mir, das seit meinem ersten Tod reglos und leise geblieben war, fing wieder an zu leben. Ich wusste sofort, dass du anders bist, und ich wollte herausfinden, was dich so besonders macht.
»Wann hast du
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