Von Kamen nach Corleone
nein, München«, sage ich.
»Und da gibst du den Wagen wieder ab?«
»Ja, da gebe ich den Wagen wieder ab.«
Und dann steige ich schnell ein, weil ich so schlecht lügen kann.
Kamen – Corleone: 2448 Kilometer. Behauptet jedenfalls Google Maps. Erreichbar in zirka einem Tag und einer Stunde . Wenn ich in einem Rutsch durchführe. Ich frage mich, aufgrund welcher Berechnungen Google Maps zu diesem Ergebnis kommt. Und was ist mit der Geschwindigkeitsbegrenzung in Italien? Hundertdreißig? Und was ist mit den Baustellen? Und den Pinkelpausen? Damals haben wir vier Tage gebraucht. Und sind außer zum Tankennicht stehen geblieben. Gut, es war ein Renault und kein Spider. Aber dennoch. Google Maps ist ein sehr optimistisches Programm, wie ich finde.
Der Sitz umgibt mich wie die Hälfte einer Muschelschale, endlich erschließt sich mir die Bedeutung des Wortes Schalensitz . Ich nehme mir vor, nur noch Autos mit Muschelschalensitzen zu fahren. Außer Kaffeekochen kann der Spider einfach alles. Er wechselt automatisch die CDs, wärmt den Sitz, berechnet den durchschnittlichen Benzinverbrauch und kreischt, wenn man mit der Stoßstange einem Hindernis zu nahe kommt.
Vor lauter Ehrfurcht für das Mirakel, in dem ich sitze, merke ich nicht, dass die Ampel bereits grün ist. Ich will schnell und elegant starten und würge das Wunderwerk ab. Alles Gewohnheitssache, sage ich mir. Wenn ich Auto fahre, neige ich dazu, Selbstgespräche zu führen. Vor allem, als ich nicht schaffe, den Spider wieder anzulassen, weil ich mich so schlecht daran gewöhnen kann, dass man heut zutage nicht mehr einen Schlüssel in ein Zündschloss steckt und herumdreht, sondern lediglich auf einen Knopf drückt. Ich drücke auf den Knopf. Nichts passiert. Hinter mir wird gehupt. Die Rache der Kleinwagenfahrer. Sitzen in einem rostigen Renault und hupen einen weißen Alfa Romeo Spider an. Immer mit der Ruhe, sage ich, endlich springt der Spider wieder an, und das Navigationssystem sagt: rechts halten.
Dann biege ich zum Westring ab, wobei ich auf der freien Strecke etwas auf das Gaspedal trete, nur um der hinfälligen Kreatur von Renault hinter mir kurz klarzumachen, was hundertsiebzig PS bedeuten. Gebt mir ein Auto, und ich bin glücklich. So gesehen ist Venedig der falsche Wohnsitz für eine wie mich, die in einem anderen Leben Testfahrerin geworden wäre. Nicht nur wegen desGeschwindigkeitsrausches, sondern auch, weil man am Steuer eines Autos folgenlos schimpfen kann. Was ist das denn für ein Vollidiot, man soll nie Frauen ans Steuer lassen, blöde Ziege. All das muss ich unterdrücken, wenn ich in Venedig durch die Gassen laufe – und mir eine dicke Amerikanerin die Vorfahrt nimmt, eine Amerikanerin, deren Hose so tief sitzt, dass ich den Spalt ihres Hinterns sehen muss. Im schützenden Gehäuse eines Autos sieht man zu tief sitzende Hosen nicht, in Venedig aber darf ich nur höflich permesso zischen, und selbst das zieht bereits böse Blicke hinter sich. Das ist der eine Nachteil des autolosen Daseins. Der andere ist der, dass man nicht laut mitsingen kann. Mit Lucio Dalla, der von einer puttana ottimista e di sinistra singt. Ein echtes Spider-Lied. Denn am besten kann man über eine optimistische und linke Hure natürlich bei offenem Verdeck singen. Aber das Armaturenbrett meldet acht Grad, Herbst in Deutschland.
Irgendwann habe ich beschlossen, für meine Mafiareportagen in Sizilien nicht mehr einen gesichtslosen Fiat- irgendwas zu mieten, nicht irgendeine Familienkutsche, sondern einen Spider. Schließlich muss es ja für etwas gut sein, dass in Sizilien immer schönes Wetter ist. Eine gewisse Aufsässigkeit spielte auch eine Rolle, das gebe ich zu. Einmal bin ich mit einem Spider in einer Prozession steckengeblieben, unweit von Marsala. Und ich habe heute noch im Ohr, wie eine Frau auf Sizilianisch bottana zischte, als sie an dem Spider vorbeiging, mit dem Rosenkranz in der Hand. Ein Wort, das man in einer Prozession eigentlich nicht verwenden sollte.
Hinter dem Kamener Kreuz ist die Cabrio-Saison allerdings schon lange beendet. Auf der Auffahrt zur A1 ziehen Zugvögel über mich hinweg, schwarze Punkte, die sich zu einem zuckenden Schwarm vereinigen. Ich folge ihnen, imSüden liegt das Paradies. Jedenfalls auf jener mittelalterlichen Karte, die ich einmal in Venedig in der Biblioteca Marciana sah und die das Paradies auf Erden in Afrika verzeichnet hatte, an den Quellen des Nils.
Wolkenberge schieben sich über den Himmel, ziehen sich
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