Vorzeitsaga 03 - Das Volk der Erde
deine Schnitzerei, Kranker Bauch.« Rittersporn setzte sich an ihren angestammten Platz. »Du hast genug Unruhe hereingebracht. Geh und mach deinen Speerschaft fertig.«
»Er bat mich, zu bleiben und ihn festzuhalten.« Sein Magen brannte vor Zorn. »Du darfst mich nicht wegschicken. Nicht, wenn er mich gebeten hat, zu bleiben.«
Doch ihr unnachgiebiger Gesichtsausdruck duldete keinerlei Widerspruch.
»Ich halte ihn fest«, sagte Rosenbusch.
Einen Moment lang schloß Kranker Bauch die Augen. Widerwillig machte er ihr Platz und bettete Warmes Feuers Kopf vorsichtig in Rosenbuschs Schoß. Warum erlaubten sie ihm nicht, seinen Freund festzuhalten? Warmes Feuer hatte es sich gewünscht. Warum sagte Rosenbusch nichts? Warum trat sie nicht für ihn ein, nur dieses eine Mal?
Er bückte sich und wischte die schimmernden Schweißtropfen von Warmes Feuers Wangen. »Geh.«
Rittersporns rauhe Stimme schnitt ihm ins Herz. »Er braucht Ruhe.«
Noch nie in seinem Leben war ihm etwas so schwergefallen, wie jetzt seine Hand von Warmes Feuers Gesicht zurückzuziehen. Er drehte sich um, ein hitziges, wütendes Funkeln stand in seinen Augen.
Kann ich mich ihr widersetzen?
In den Augen der alten Frau glomm ein drohendes Leuchten auf. Sie war bereit, den Kampf mit ihm aufzunehmen, ihn zu unterwerfen und zu demütigen.
Das ist es nicht wert. Dieser Kampf wird mich vernichten. Warmes Feuer hat recht. Daraus entsteht nichts Gutes. Nichts ist damit gewonnen, wenn ich kämpfe, während mein Freund im Sterben liegt.
Als er sich erhob, begann der Körper von Warmes Feuer heftig zu zucken. Im Schlaf schrie er: »Nein!
Das Leuchten geht fort… es verläßt mich … entgleitet.«
Kranker Bauch drehte sich um. Er preßte die Kiefer fest zusammen und ballte die gesunde Hand zur Faust. Rittersporn hatte sich Warmes Feuer zugewandt, den Haß im Blick ihres Enkels schien sie nicht einmal zu bemerken.
»Er phantasiert. Seine Seele entgleitet seinem Körper«, verkündete Schwarze Hand. »Wir brauchen noch mehr Balsamgräser, um die Luft zu reinigen.«
Rittersporns Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Sie sah Kranker Bauch an und machte mit dem Kopf eine ruckartige Bewegung in Richtung Tür.
Er trat hinaus in das Licht des Nachmittags. Ihm war eiskalt. Sie erlaubt mir nicht einmal, ihn zu halten, während er im Sterben liegt. Tränen unsäglichen Leids strömten über seine Wangen.
KAPITEL 3
Tapferer Mann bahnte sich den Weg hinauf zum Gipfel. Unter seinen mit Fellen umwickelten Wintermokassins knirschte der Schnee. Im Windschatten des steilen Grats türmten sich die Schneeverwehungen. Die einzelnen Schichten gefroren und tauten abwechselnd und verwandelten so den Hang in einen trügerischen Untergrund.
Bald, wisperten die Stimmen in seinem Kopf. Bald. Fleisch.
Tapferer Mann brummte vor sich hin und zuckte unter dem stechenden Schmerz zusammen, der seinen Schädel durchbohrte und sein Gehirn peinigte. Die Kopfschmerzen wurden stets schlimmer, wenn die Macht zu ihm sprach. Manchmal trieben sie ihn fast in den Wahnsinn.
Tief sog er die kalte Luft in die Lungen und stampfte an einer geschützten Stelle den Schnee fest.
»Willst du verschnaufen?« fragte Windläufer, der sich noch weiter unten befand.
Tapferer Mann nickte. Er stöhnte unter den schlagartig einsetzenden Höllenqualen, die seinen Schädel marterten. Unwillkürlich hob er den Kopf und fuhr zusammen. Er begegnete Windläufers starr auf ihn gerichteten Blick. Ich sehe den Abscheu in deinen Augen, alter Freund. Beobachte mich, solange du willst, nie wirst du das wahre Ausmaß der Schmerzen erfahren, geschweige denn, die wahre Fülle der Macht kennenlernen.
Er haßte Windläufers makelloses Gesicht haßte die bewundernden Blicke, mit denen die jungen Frauen seinen ehemaligen Freund ansahen. Groß und gutgewachsen stand Windläufer vor ihm, sein Jagdmantel aus Hirschhaut spannte sich über den muskulösen Schultern. In seinen vergnügt funkelnden Augen spiegelte sich Windläufers lebhafte Seele und gab seinem Gesicht mit den breiten Backenknochen ein übermütiges Aussehen. Immer hatte er ein freundliches Lächeln parat. Auf seine Stirn waren zwei parallel verlaufende blaue Linien tätowiert Symbol seiner Schnelligkeit und Ausdauer.
Tapferer Manns Herz verhärtete sich. Früher einmal hatten die jungen Frauen auch ihn so angesehen.
Sie hatten sich darüber unterhalten, was Tapferer Mann wohl für einen Ehemann abgeben würde.
Damals hatte Weiße Esche ihn geliebt
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