Warum es die Welt nicht gibt
Einhörner findet man nicht, indem man eine Mondreise bei der NASA bucht, um sie zu fotografieren. Doch wie steht es mit all den anderen Dingen, die es angeblich nicht gibt: Elfen, Hexen, Massenvernichtungswaffen in Luxemburg und so weiter? Diese kommen ja auch in der Welt vor, zum Beispiel in falschen Überzeugungen, Märchen oder Psychosen. Meine Antwort lautet: Es gibt auch alles, was es nicht gibt – nur gibt es dies alles nicht im selben Bereich. Elfen gibt es im Märchen, aber nicht in Hamburg, Massenvernichtungswaffen gibt es in den USA , aber – soweit ich weiß – nicht in Luxemburg. Die Frage ist also niemals einfach, ob es so etwas gibt, sondern immer auch, wo es so etwas gibt. Denn alles, was existiert, existiert irgendwo – und sei es nur in unserer Einbildung. Die einzige Ausnahme ist wiederum: die Welt. Diese können wir uns nicht einmal einbilden. Was wir uns einbilden, wenn wir an die Welt glauben, ist sozusagen »weniger als nichts«, wie ein Buchtitel des rebellischen Starphilosophen Slavoj Žižek lautet. 4
In diesem Buch möchte ich Ihnen die Grundzüge einer neuen, realistischen Ontologie präsentieren. Es wird also nicht primär darum gehen, andere Theorien zu referieren – das werde ich nur dort tun, wo ein wenig Vorgeschichte zum besseren Verständnis hilfreich ist. Es handelt sich hier also nicht um eine allgemeine Einführung in die Philosophie oder eine Geschichte der Erkenntnistheorie, sondern um den Versuch, so allgemeinverständlich wie möglich eine neue Philosophie zu entwickeln. Man muss sich nicht erst durch nahezu unverständliche Klassiker der Philosophie durchbeißen, um zu verstehen, was hier vor sich geht. Stattdessen wollte ich dieses Buch so schreiben, dass es voraussetzungsfrei lesbar ist.
Es fängt, wie alle Philosophie, von vorne an. Deswegen werden unter anderem die wichtigsten Begriffe, die ich verwende, möglichst klar definiert. Diese Begriffe sind in Kapitälchen gesetzt, und ihre Bedeutung kann man im Glossar jederzeit nachschlagen. Ich verspreche Ihnen deswegen aufrichtig, dass aufgeblasene philosophische Wortmonster wie »die transzendentale Synthesis der Apperzeption« in diesem Buch nur in denjenigen Sätzen vorkommen, in denen ich Ihnen verspreche, dass sie in diesem Buch nicht vorkommen.
Ludwig Wittgenstein hat einmal gesagt: »Was sich überhaupt sagen läßt, läßt sich klar sagen« 5 . Ich schließe mich diesem Ideal an, denn die Philosophie sollte keine elitäre Geheimwissenschaft, sondern ein weitgehend öffentliches Geschäft sein (selbst wenn sie manchmal recht umständlich tut). Ich beschränke mich deswegen darauf, Ihnen einen (wie ich finde) recht originellen Weg durch das Labyrinth der vielleicht größten philosophischen Fragen anzubieten: Woher kommen wir? Worin befinden wir uns? Und was soll das Ganze eigentlich?
Die Hoffnung, zu diesen Menschheitsfragen etwas wirklich Neues sagen zu können, erscheint vielleicht naiv, aber andererseits: Die Fragen selbst sind naiv. Es sind nicht selten Kinder, die sie stellen – und hoffentlich nie damit aufhören werden. Die ersten beiden philosophischen Fragen, die ich mir gestellt habe, sind mir beide auf dem Nachhauseweg von der Grundschule eingefallen, und sie haben mich niemals losgelassen. Einmal ist mir ein Regentropfen ins Auge gefallen, und ich habe eine Laterne dadurch doppelt gesehen. Also stellte ich mir die Frage, ob da nun eigentlich nur eine oder zwei Laternen seien. Und ob und wie weit ich meinen Sinnen trauen könnte. Die andere Frage überfiel mich, als ich mir plötzlich klarmachte, dass die Zeit vergeht und dass ich mit dem Wort »jetzt« völlig verschiedene Situationen bezeichnete. In diesem Augenblick bin ich wohl auf den Gedanken gekommen, dass es die Welt nicht gibt, wobei ich gut zwanzig Jahre benötigt habe, um diesen Gedanken philosophisch zu durchdringen und von dem Gedanken zu unterscheiden, dass alles nur eine Illusion ist.
Mittlerweile lehre ich seit einigen Jahren das Fach Philosophie an verschiedenen Universitäten und habe bei unzähligen Gelegenheiten mit Forschern aus aller Welt über die Probleme der Erkenntnistheorie und der philosophischen Skepsis (meine Forschungsschwerpunkte) gestritten. Es dürfte Sie kaum überraschen, dass ich so ziemlich alles in Zweifel gezogen habe, was mir begegnet ist (am häufigsten vielleicht die eigenen Überzeugungen). Aber eines ist mir dabei immer klarer geworden: Die Aufgabe der Philosophie ist es, immer wieder von vorne
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