Warum es die Welt nicht gibt
und schauen sozusagen nun von außen auf das Weltganze. Unsere Weltgedanken bleiben in der Welt, denn so leicht, durch bloßes Nachdenken, entkommen wir dem Schlamassel leider nicht!
Wenn aber auch Staaten, Träume, nicht realisierte Möglichkeiten, Kunstwerke und insbesondere auch unsere Gedanken über die Welt zur Welt gehören, kann sie nicht identisch mit dem Gegenstandsbereich der Naturwissenschaften sein. Mir ist jedenfalls nicht bekannt, dass die Physik oder die Biologie inzwischen auch die Soziologie, die Rechtswissenschaft oder die Germanistik integriert hätten. Auch habe ich noch nie davon gehört, dass die Mona Lisa in einem Chemielabor auseinandergenommen wurde. Dies wäre jedenfalls ziemlich teuer und wohl auch absurd. Sinnvoll definieren lässt sich die W elt demzufolge nur, wenn man sie als allumfassend, als den Bereich aller Bereiche bezeichnet. Die Welt wäre somit der Bereich, in dem nicht nur alle Dinge und Tatsachen existieren, die es auch ohne uns gibt, sondern auch all die Dinge und Tatsachen, die es nur mit uns gibt. Denn sie soll schließlich der Bereich sein, der alles umfasst – das Leben, das Universum und den ganzen Rest eben.
Doch genau dieses Allumfassende, die Welt, gibt es nicht und kann es auch nicht geben. Mit dieser Hauptthese soll nicht nur die Illusion zerstört werden, es gebe die Welt, an der die Menschheit ziemlich hartnäckig festhält, sondern gleichzeitig möchte ich sie auch nutzen, um daraus positive Erkenntnisse zu gewinnen. Denn ich behaupte nicht nur, dass es die Welt nicht gibt, sondern auch, dass es außer der Welt alles gibt.
Das klingt vielleicht merkwürdig, kann aber überraschend leicht anhand unserer alltäglichen Erfahrungen illustriert werden. Stellen wir uns vor, wir treffen uns mit Freunden zu einem Abendessen im Restaurant. Gibt es hier nun einen Bereich, der alle anderen Bereiche umfasst? Können wir sozusagen einen Kreis um alles ziehen, was zu unserem Restaurantbesuch gehört? Nun, mal sehen: Wir sind vermutlich nicht die Einzigen im Restaurant. Es gibt also mehrere Restaurantbesucher an Tischen mit unterschiedlichen Gruppendynamiken, Präferenzen und so weiter. Außerdem gibt es die Welt des Servicepersonals, der Restaurantbesitzerin, der Köche, aber auch der Insekten und Spinnen und der für uns unsichtbaren Bakterien, die sich im Restaurant aufhalten. Darüber hinaus gibt es Ereignisse auf subatomarer Ebene sowie Zellteilungen, Verdauungsstörungen und Hormonschwankungen. Einige dieser Ereignisse und Gegenstände hängen zusammen, andere überhaupt nicht. Was weiß die von allen unbemerkte Spinne im Deckengebälk schon von meiner guten Laune oder von meinen Speisepräferenzen? Und dennoch gehört die Spinne zum Restaurantbesuch hinzu, wenn auch meist unerkannt. Dasselbe gilt für Verdauungsstörungen, die man auch nicht ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt.
Es gibt beim Restaurantbesuch also viele Gegenstandsbereiche, gleichsam kleine isolierte Welten, die nebeneinander existieren, ohne dass sie wirklich zueinanderfinden. Es gibt also viele kleine Welten, aber nicht die eine Welt, zu der sie alle gehören. Dies bedeutet gerade nicht, dass die vielen kleinen Welten nur Perspektiven auf die eine Welt sind, sondern dass es eben nur die vielen kleinen Welten gibt. Es gibt sie wirklich, nicht nur in meiner Einbildung.
Genau in diesem Sinne kann man meine Behauptung verstehen, dass es die Welt nicht gibt. Es ist einfach falsch, dass alles mit allem zusammenhängt. Die populäre Behauptung, der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien löse möglicherweise einen Tornado in Texas aus, ist schlicht falsch. Vieles hängt mit vielem zusammen, aber es ist falsch (genau genommen sogar unmöglich!), dass alles mit allem zusammenhängt. Natürlich stiftet jeder Einzelne von uns andauernd Zusammenhänge. Wir erzeugen Selbst- und Umgebungsbilder, wir verorten unsere Interessen in unserer Umwelt. Wenn wir etwa hungrig sind, erstellen wir eine Futterkarte unserer Umgebung – die Welt wird zum Futtertrog. In anderen Augenblicken folgen wir aufmerksam einem Gedankengang (ich hoffe, dies ist gerade ein solcher Augenblick). In wieder anderen Augenblicken haben wir ganz andere Ziele. Dabei machen wir uns vor, dass wir uns immer in derselben Welt bewegen, was eine Voraussetzung dafür ist, dass wir uns hinreichend wichtig nehmen. Unsere alltäglichen Geschäfte kommen uns wie einem Kleinkind unendlich bedeutend vor, und in gewisser Weise sind sie es auch.
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