Was am Ende bleibt
man sich auf die Welt einlässt, desto tückischer smileygesichtig erscheint einem der Rest der Menschheit, weil er sich weiterhin darauf einlassen kann.
Für diese Entfremdung waren Schreibende und Lesende schon immer anfällig. Die Teilhabe an der virtuellen Gemeinschaft des gedruckten Wortes erfordert schließlich, dass man allein ist. Doch die Entfremdung wird noch tiefer, drängender und gefährlicher, wenn diese virtuelle Gemeinschaft nicht mehr dicht bevölkert und verkehrsreich ist; wenn die rettende Kontinuität der Literatur an sich unter elektronischen und akademischen Beschuss gerät; wenn die individuelle Entfremdung zu einer universellen wird und der Wirtschaftsteil über eine Verschwörung der Welt nicht bloß gegen einen selbst, sondern gegen alle Gleichgesinnten berichtet und der Preis des Schweigens offenbar nicht mehr Obskurität, sondern völliges Vergessenwerden ist.
Ich sehe ein, dass jemandem, der bekenntnishaft für eineüberregionale Zeitschrift schreibt, vielleicht ein wenig die Glaubwürdigkeit fehlt, wenn er behauptet, für einen Schriftsteller, der nach dem
Sputnik
geboren worden sei, stelle echte Einsiedelei einfach keine Alternative dar, weder psychisch noch finanziell. Mag sein, dass ich zu einem geselligen Verräter geworden bin. Aber seit ich meinen Büchern verspätet aus dem Haus gefolgt bin, ein wenig journalistisch gearbeitet habe und mich sogar auf Partys habe blicken lassen, kommt es mir weniger so vor, als würde ich mich der Welt bekannt machen, als dass ich die Welt mir bekannt mache. Kaum war ich aus meiner Verzweiflungsblase herausgetreten, erkannte ich, dass nahezu jeder, dem ich begegnete, viele meiner Befürchtungen teilte und dass andere Schriftsteller sie sogar
alle
teilten.
Früher, als literarisches Leben und Kultur noch Synonyme waren, konnte man auf eine Weise allein sein, wie man in Städten allein sein konnte, wo man immer, Tag und Nacht, den Trost der Menge vor der Tür fand. Im Zeitalter der Vorstädte, in dem die steigenden Fluten der elektronischen Kultur aus jedem Lesenden und jedem Schreibenden eine Insel gemacht haben, könnte es sein, dass wir uns gegenseitig aktiver der Existenz einer Gemeinschaft versichern müssen. Ich habe Creative-Writing-Seminaren wegen der, wie mir es schien, falschen Geborgenheit in ihnen immer misstraut, so wie ich auch den Buchclubs misstraut habe, weil sie Literatur wie ein bitteres Kreuzblütlergemüse behandeln, das man nur mit einem Löffel Geselligkeit hinunterkriegt. Seitdem ich meine Fühler nach meinem eigenen Gemeinschaftssinn ausstrecke, misstraue ich beiden ein bisschen weniger. Das besondere Ansehen des Romans im neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert verstehe ich als historischen Zufall – es gab eben keine Konkurrenz. Jetzt schrumpft die Distanz zwischen Autor und Leser. Statt olympischer Gestalten, die zu den Massen tief unten sprechen, gibt es für jeden von uns die passende Diaspora. Lesende und Schreibende sind vereintin dem Bedürfnis, allein zu sein, sind vereint in ihrem Streben nach Substanz in einer Zeit stetig zunehmender Flüchtigkeit: in ihrer Hinwendung nach innen, mittels des gedruckten Worts, um aus dem Alleinsein herauszutreten.
Eine der Lieblingsvorstellungen der Cybervisionäre ist, die literarische Kultur sei antidemokratisch – die Lektüre guter Bücher vornehmlich eine Beschäftigung müßiggängerischer Weißer –, und unsere Republik werde darum gesünder sein, wenn sie sich ganz dem Computer überlasse. Wie Shirley Heaths Recherchen (oder auch nur gelegentliche Besuche in einer Buchhandlung) verdeutlichen, lügen die Cybervisionäre. Lesen ist eine ethnisch nicht zuzuordnende gesellschaftsskeptische Tätigkeit. Die reichen weißen Männer, die heutzutage leistungsstarke Laptops haben, sind die augenfälligste Elite dieses Landes. Das Wort «elitär» ist der Stock, mit dem sie diejenigen prügeln, für die der Erwerb technischer Geräte mit Leben nichts zu tun hat.
Dass Misstrauen oder blanker Hass gegen das, was wir heute «Literatur» nennen, schon immer eine Eigenheit von Sozialvisionären gewesen ist, seien es nun Plato oder Stalin oder die zeitgenössischen Technokraten des freien Markts, kann uns zu der Ansicht führen, dass Literatur eine Funktion über die Unterhaltung hinaus hat, nämlich die einer Spielart gesellschaftlicher Opposition. Schließlich entfachen Romane manchmal eine politische Debatte oder werden zum Gegenstand davon. Und da der eine bescheidene
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