Was - Waere - Wenn
der gerade frustriert mit einem großen,
blauen Müllsack wieder reinkommt.
»Paßt nicht mehr in den Scheiß-Container …«, sagt er, ehe er mit mir
zusammenprallt, der Müllsack zu Boden geht und die Reste des Inhalts quer durch
den ganzen Laden spuckt. »Paß doch auf, Charly!« motzt Tim mich an.
Ein »Entschuldigung« keuchend stürze ich zu meinem Rad, schließe es
auf und rase davon.
»He!« brüllt Tim mir hinterher, »wo willst du denn hin? Du kannst
doch nicht einfach abhauen!«
Klar kann ich, sieht er doch. Und das im Turbogang. Obwohl ich
diesmal gar keine Musik dabeihabe – mein Rucksack liegt noch im Drinks &
More –, bin ich schneller als Jan Ullrich. Mindestens. Aber ich habe einfach
Angst, daß ich zu spät komme, daß der ganze Spuk schon vorbei ist. Daß mir das
nicht früher klar gewesen ist! Wie hat denn überhaupt alles angefangen, wie bin
ich zu New Life gekommen? Indem ich eine Visitenkarte gefunden habe. In Tims Mantel!
Es ist halb vier am Samstag, als ich bei New Life ankomme.
Wahrscheinlich nicht gerade deren Geschäftszeiten. Ich klingele trotzdem,
vielleicht macht irgendwer Überstunden. Wobei ich es nicht hoffen will. Nachdem
ich weitere drei Mal geklingelt habe, bin ich mir ziemlich sicher, daß niemand
da ist. Also drücke ich jetzt erst einmal auf eine andere Klingel, damit ich
wenigstens schon einmal ins Haus komme. Der Summer erklingt, ich drücke die Tür
auf und gehe hinein.
»Hallo? Wer ist da?« ruft eine Frau. Ich verstecke mich hinter dem
Treppenabsatz und verhalte mich mucksmäuschenstill, bis mir das Klappern einer
Tür sagt, daß die Frau wieder in ihre Wohnung gegangen ist. Auf Zehenspitzen
tapse ich die Stufen zu New Life hoch. Mal sehen, ob die Sache mit der
Kreditkarte, die Tim mir vorgemacht hat, tatsächlich so einfach ist.
Erst, als ich direkt bei New Life vor der Tür stehe, fällt mir ein,
daß es da ein kleines Problem gibt: Ich besitze gar
keine Kreditkarte! Nicht mal eine EC -Card, bin ja
bei meiner Bank derzeit nicht mehr kreditwürdig. Wie ärgerlich, da bin ich doch
glatt mit meinen beiden Leben durcheinandergekommen, »Charly from the block«
ist ja leider nicht mehr.
Frustriert werfe ich mich mit dem Rücken gegen die Tür, so was kann
aber auch nur mir passieren! Also gut, nachdenken, was habe ich sonst noch mit?
Büroklammer? Sicherheitsnadel? Nagelfeile? Leider nein!
»Zu wem wollen Sie denn?« Ohne, daß ich es gemerkt habe, hat sich
die Nachbarwohnung geöffnet. Lasziv im Türrahmen lehnt, mit einer langen
Zigarettenspitze in der einen und einem Glas Martini in der anderen: Madame
Charlotte!
»Was machen Sie denn hier?« entfährt es mir. Die Welt ist echt ein
Dorf! Mein Blick fällt auf ihre Türklingel. Da steht allerdings nur M. Sabrina.
Also, Charlotte gefällt mir doch wesentlich besser!
»Die Frage ist doch wohl eher: Was machen Sie hier?«
»Ich wollte etwas abholen.« Madame Charlottes oder Sabrinas Augen
verengen sich zu zwei schmalen Schlitzen.
»Abholen?« wiederholt sie gedehnt. Ich entschließe mich, ihr mehr
oder weniger die Wahrheit zu sagen. Madame macht auf mich den Eindruck, als
könnte sie das ab.
»Hören Sie«, sage ich, »die Geschichte ist viel zu verrückt, um Sie
Ihnen eben zwischen Tür und Angel zu erzählen. Wichtig ist nur: Ich muß da
rein!« Ich deute auf die Tür von New Life. »Es geht um einen Mann«, füge ich
dann hinzu und hoffe auf Frauensolidarität.
»Um einen Mann?«
Ich nicke nochmal heftig. Sofort breitet sich ein Grinsen auf ihrem
Gesicht aus. Madame Charlotte ist eine Frau aus dem Leben, das war mir gleich
klar.
»Sieht er gut aus?« Wieder nicke ich. Schönheit liegt halt im Auge
des Betrachters. »Also gut, Schätzchen, du siehst mir nicht gerade wie ein
Schwerverbrecher aus.« Was habe ich doch für ein Glück, daß ich heute nicht in
diesem Overall stecke! »Warte kurz.« Sie verschwindet wieder in ihrer Wohnung,
ich höre sie lautstark mit den Absätzen ihrer Plexiglasschläppchen klappern.
Eine Minute später ist sie wieder zurück, in der Hand eine riesengroße Spritze.
»Was …?«
»Laß mich mal machen«, sagt sie, schiebt die Nadel ins Türschloß von
New Life und hantiert damit herum. Oh, ich will mir gar nicht vorstellen, was
mit der Nadel schon vorher …
»Et voilà!« Mit einem leisen »Klack« öffnet sich die Tür. Der Weg zu
meiner Mission ist frei.
»Tausend Dank!« sage ich zur Frau mit der großen Spritze, bevor ich
mich in die Dunkelheit des Büros
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