Was - Waere - Wenn
1. Kapitel
Musik ist das Schlimmste. Musik verspricht Dinge, die das
Leben nicht hält. »Konzert in d-moll für 2 Violinen« von Johann Sebastian Bach.
»Through the barricades« von Spandau Ballet. »O, mio babbino caro« von Giacomo
Puccini. Nummer 6 auf dem Soundtrack zu »Meet Joe Black«. Echter Schrottfilm
war das – aber Nummer 6 ist der Wahnsinn! Überhaupt sind Filme das beste
Beispiel dafür, daß die Musik das macht. Eben Dinge versprechen: Glück. Liebe.
Erfüllung. Fünftausend Euro Sofortrente. Ohne Musik würde das alles nicht
funktionieren. Kein Mensch hätte in »Pearl Harbour« auch nur eine einzige Träne
um Ben Affleck vergossen, wenn Faith Hill zu seinem heldenmäßigen Abgang nicht
»There you’ll be« geschmettert hätte. Kaum setzt eine rührselige Ballade ein,
schon werden überall die Taschentücher gezückt.
Oder nehmen wir den Typ, der gerade in meinem Bett liegt. Gestern
nacht, als wir uns zu »Feel« von Robbie Williams übereinander hergemacht haben,
da war er aufregend, sinnlich, sexy, der fleischgewordene Traum meiner einsamen
Stunden. Aber jetzt, bei Tageslicht betrachtet und ohne jegliche musikalische
Untermalung, ist er einfach nur noch irgendein Kerl. Weit und breit keine Spur
mehr von dem Mann, mit dem ich gestern noch ausgewandert wäre, von mir aus
sogar nach Bad Pyrmont. So ist das eben mit der Musik – sobald sie aufhört,
kommt es einem vor, als hätte jemand den Weichzeichner von der Linse genommen.
Wortlos werfe ich meinem One-Night-Stand seine ausgebeulte Jeans hin und hoffe,
daß er den Wink versteht. Das tut er, zieht sich an und verläßt grußlos meine
Wohnung. Als die Tür hinter ihm ins Schloß fällt, schwöre ich mir zum
hundertsten Mal, keine wildfremden Typen mehr abzuschleppen. Oder sie
wenigstens rauszuschmeißen, solange der CD -Player
noch läuft.
Wenn das meine Mutter wüßte, denke ich auf dem Weg ins Bad, das Herz
im Leib tät ihr zerspringen. Ist nicht von mir. Das sagt die schöne Prinzessin
aus dem Märchen »Fallada« immer. Aber auf mich paßt es irgendwie auch. Und auf
meine Mutter erst recht. An eine Prinzessin erinnert die Gestalt, die mich aus
dem Badezimmerspiegel angrimmt, allerdings nicht gerade. Eher an Pumuckl auf
Speed oder so. Die roten Haare sehen aus, als würde was drin nisten, meine
Augen sind so grün und glasig, daß ich Commander Data vom Raumschiff Enterprise
Konkurrenz machen könnte, und in meinem XXL -T-Shirt
komme ich so unglaublich erotisch daher, daß es mir ein totales Rätsel ist,
warum sich mein Gespiele vor seinem Entschwinden nicht noch einmal auf mich
gestürzt hat.
Dabei klingt mein Name ziemlich nach Prinzessin: Charlotta. Erinnert
an Spitzenkragen, Lackschühchen und rosa Samtschleife im Haar. Was haben meine
Grundschullehrerinnen mich für diesen Namen geliebt! »Charlotta! Wie hübsch!«
riefen sie immer verzückt aus, wenn sie zum Schuljahresbeginn die
Anwesenheitsliste ihrer neuen Schützlinge studierten. Am Ende des Schuljahres
sprachen sie meinen Namen dann allerdings meistens mit einem anderen Unterton
aus. Irgendwie gereizter. Eines Tages in der 4. Klasse stellte eine meiner
Lehrerinnen fest: »Ich glaube, wir sollten dich Charly nennen. Charly paßt viel
besser zu dir.« Und dabei ist es bis heute geblieben, außer meinen Eltern sagt
niemand mehr Charlotta zu mir. Das heißt, wenn ich mich recht erinnere, hat der
Kerl von letzter Nacht mich sogar Charlotta genannt. Woher er das nur gewußt
hat? Mehr als fünf Minuten haben wir auf keinen Fall miteinander gesprochen,
bevor wir bei mir gelandet sind. Egal, wer will darüber jetzt noch nachdenken?
Hauptsache, ich bin ihn los und kann zur Tagesordnung übergehen.
»Wenn das meine Mutter wüßte«, seufze ich wieder, stelle das Radio
an und mich selbst unter die Dusche. Sie wäre von meinem Lotterleben wahrlich
angetan, nahezu begeistert. Glücklicherweise wissen meine Eltern nicht das
geringste, in ihrer Welt stehe ich kurz vor dem BWL -Diplom.
Tatsächlich aber studiere ich rein gar nichts, vom Leben jetzt mal abgesehen.
Dafür wird’s am Ende kaum eine gerahmte Urkunde geben, jedenfalls nicht von der
Uni Hamburg oder irgendeiner anderen wissenschaftlichen Einrichtung. Dabei habe
ich es ernsthaft versucht. Fünf Semester lang bin ich brav ein- bis zweimal pro
Woche zu einer Vorlesung gegangen. Aber nach einem fulminanten Grundstudium – sieben von acht diplomrelevanten Klausuren versemmelt – habe ich es dann
schließlich eingesehen: Wir passen
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