Weiß wie der Tod
dran. Ich bleib hier und pass auf.«
Gudman grinste schief und ging hinaus, während Naima sich im Flur umschaute. Nach einer Minute kam er durchnässt zurück. »Der Wagen steht auf der anderen Straßenseite. Die Motorhaube ist kühl.«
»Dann muss er in der Nähe sein.«
»Oder er ist mit Bus oder U-Bahn gefahren.«
»Hast du schon mal ’nen Mercedes-Fahrer im Bus gesehen?«
»Stimmt auch wieder.«
Naima klingelte erneut. »Entschuldigen Sie die nochmalige Störung. Hat Herr Voss eine Stammkneipe oder Bekannte, bei denen er sich öfters aufhält?«
»Soviel ich weiß, nicht«, antwortete die Frau. »Man sieht ihn kaum. Und wenn, dann unten im Keller.«
»Was macht er da?«
»Wäsche waschen oder Fahrrad … nein, er hat keins. Das wäre mir aufgefallen. Keine Ahnung, was er da unten treibt. Fragen Sie den Hausmeister.«
»Eine gute Idee. Wo finden wir ihn?«
»Der nächste Hauseingang, links, bei Hartmuth. War’s das jetzt, oder kommen Sie nochmal zurück? Dann lass ich die Tür nämlich offen.«
Sie verneinten und gingen zur Tür. Sturmklingeln holte Hausmeister Hartmuth an die Gegensprechanlage. Er war nicht begeistert, bei diesem Wetter die Wohnung verlassen zu müssen. Mit einem Schlüsselbund stapfte er voraus, Gudman und Naima ihm nach.
»Mitten in der Nacht«, schimpfte er. »Vielleicht schläft er. Haben Sie auch lang genug geläutet?«
»Haben wir«, sagte Naima, »und jetzt schließen Sie bitte auf.«
Hartmuth tat es widerwillig. Als er die gezogenen Waffen sah, trat er ängstlich zur Seite.
»Sie bleiben hier und halten die Augen offen«, befahl Gudman.
Naima knipste das Licht an. »Stephan Voss. Hier ist die Polizei. Sind Sie zu Hause?«
Keine Antwort.
Gudman ging auf ihr Zeichen zuerst rein, dann folgte Naima. Die kleine Wohnung war schnell überprüft und menschenleer.
»Kommen Sie bitte rein«, rief Gudman Hartmuth herbei.
Er folgte der Anweisung nur zögerlich.
»Wissen Sie, wo sich Herr Voss zurzeit aufhält?«, fragte Naima.
Der Tonfall Hartmuths hatte sich geändert. »Nein«, antwortete er beflissen, »er reist viel.«
»Das sagte uns seine Nachbarin schon. Sie erwähnte aber auch, dass er sich öfters im Keller aufhält. Was macht er dort?«
65
Lili hat Mandrak in seinem Kellerraum aufgesucht«, sagte Levy. »Natürlich hat er sie wiedererkannt, und ich wette, dass er hocherfreut gewesen ist, sie wiederzusehen. Er war ja noch nicht mit ihr fertig.«
»Sie sind krank«, antwortete Thorsten Waan, der nun von zwei Polizeibeamten flankiert wurde.
»Um das zu erklären, muss man krank sein. Mit normalem Menschenverstand lässt sich das auch nicht erklären.«
Michaelis, die sich während Levys Auftreten still verhalten hatte, stimmte ihm wortlos zu. Ja, genau deswegen hatte sie ihn hinzugeholt.
»Es sollte für Lili keine große Schwierigkeit gewesen sein«, führte Levy fort, »Mandrak das Flunitrazepam zu verabreichen. Sie nutzte seine Ahnungslosigkeit und Überraschung aus. Wahrscheinlich tranken sie ein Glas zusammen. Und dann musste sie nur noch abwarten. Sie hatte die Stöcke wahrscheinlich unter der Jacke oder in einer Tasche versteckt. Sie fielen nicht weiter auf. Dann endlich war es so weit, Mandrak wurde bewusstlos. Er war ihr schutzlos ausgeliefert, genauso wie sie damals, nur jetzt mit umgekehrten Vorzeichen. Sie prügelte so lange auf ihn ein, bis er sich nicht mehr rühren konnte. Wir haben rund hundert Stockschläge auf seinem Körper gezählt. Der Vorgang muss Stunden gedauert haben. Was hat sie in der Zwischenzeit gemacht? Hat sie ihren Vater angerufen? Papa, ich habe das Schwein? Oder wie ist das gelaufen?«
Thorsten Waan schwieg.
»Wahrscheinlich hat sie genau das getan. Wenn einer wusste, wie mit so einem Raubtier umzugehen war, dann doch ihr Papa, der Kriminalkommissar.«
Michaelis zog Levy am Ärmel, bedeutete ihm, ihr in die Ecke zu folgen.
»Was ist?«, fragte Levy. »Ich habe ihn gleich so weit.«
»Das machst du ganz prima. Doch was ist mit der Todesursache? Laut Dragan ist Mandrak an einem Genickbruch gestorben. Die kleine Lili hat das wohl kaum geschafft.«
Levy dachte nach. »Du hast recht. Aber ich auch.«
Er wandte sich ab und ging zu Thorsten Waan.
»Sie hat Sie angerufen, als Mandrak noch lebte. Stimmt’s? Dann sind Sie los. Sie fanden ihn schwer verletzt am Boden liegen. Ihre Tochter hatte ganze Arbeit geleistet. Stopp, nicht ganz. Sie hat Ihnen den Todesstoß überlassen. Ein Geschenk, sozusagen, für all das erlittene Leid.
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