Weiss wie der Tod
bereit. Er drückte den Knopf und ging hinein. Bevor sich die Türen schlossen, hörte er Schritte die Treppe herunterkommen und erblickte Turnschuhe, die zum Ausgang strebten. Adidas, weiß.
Die erste Reaktion führte seine Hand zum Türöffner. Doch er hielt inne. Nicht heute. Wenn er ausgeschlafen hatte, würde er sich darum kümmern. Die Fahrt in den elften Stock verlief wie erhofft ohne Zwischenfall. Noch vor ein paar Tagen glaubte er in diesem Käfig zu verbrennen. Katie hatte recht behalten: Das Crystal machte ihn wahnsinnig. Sosehr er es für einen perfekt funktionierenden Verstand schätzte, so hinterhältig war es auch. Er würde künftig die Finger davon lassen.
Als er seine Wohnung betrat, war alles so, wie er es hinterlassen hatte. Das Bett war ungemacht, auf dem Boden lag eine leere Flasche Sauza, und der Computer dämmerte im Ruhezustand vor sich hin.
Er nahm eine Flasche aus dem Kühlschrank. Sie enthielt gerade noch genügend Tequila, um Levy für die letzte Entscheidung dieses frühen Tages Kraft zu geben. Der Name von Thorsten Waans Tochter Lilith geisterte die ganze Zeit in seinem Kopf herum. In welchem Zusammenhang hatte er ihn schon mal gehört?
Levy tippte ihn in das Eingabefeld der Suchmaschine ein.
Viele Treffer füllten den Bildschirm. Er wählte Lilith – die Mythologie und las:
Als Gott den Menschen schuf, sah er, dass der Mensch nicht allein bleiben sollte. Daher gab er ihm eine Frau, die ihm gleich war. Er formte sie wie Adam aus der Erde und nannte sie Lilith.
Bald jedoch begannen Adam und Lilith zu streiten. Sie wollte es nicht länger dulden, im Beischlaf unter ihm zu liegen. Sie sagte: «Wir sind beide gleich, wir sind aus derselben Erde geschaffen.» Adam aber wollte ihr übergeordnet sein, bestand auf ihren Gehorsam, und so kam es, dass Lilith sich in die Lüfte schwang und entschwand.
Gott schickte daraufhin Engel aus, sie zurückzuholen. Falls Lilith nicht gehorchte, sollten täglich hundert ihrer Söhne sterben. Doch Lilith lehnte ab, und von da an galt sie als Kinderfresserin, Verführerin und das Verderben des Mannes. Dann erschuf Gott Eva. Mit ihr war Adam zufrieden. Sie gehorchte. Vorerst.
Levy schmunzelte. Eine interessante Geschichte. Er fragte sich: Wissen Eltern, welche Namen sie ihren Kindern geben, oder fügt sich im Schicksal alles zusammen?
Das Glas war leer, und Levy fuhr den Computer in den Standby-Modus. Er schob die Tatstatur nach vorn, so wie er es immer tat, wenn er den Tag beendete. Ein Zettel kam zum Vorschein. Er nahm ihn und faltete ihn auf.
Ich weiß nicht, wie ich da reingeraten bin. Frank hat mich gegen dich benutzt. Er will dich töten. Ich verschwinde bis auf weiteres. Das solltest du auch tun. Bis bald. Katie.
Levy stutzte. Was hatte das zu bedeuten, und wie kam die Nachricht in seine Wohnung? Katie hatte keinen Schlüssel. Er nahm das Handy und wählte ihre Nummer. Es klingelte. Nicht aus dem Hörer, sondern in seiner Wohnung. Wo kam das her? Er folgte der Melodie ins Badezimmer und schaltete das Licht an.
Alles war rot. Überall. Auf den Kacheln stand mit Blut geschrieben: Niemals ohne mich.
In der Wanne lag Katie. Ihre Kehle war aufgeschlitzt, ihre toten Augen starrten an die Decke.
70
W egen stark verminderter Schuldfähigkeit wird der Angeklagte in eine geschlossene psychiatrische Anstalt überführt, wo er sich einer Therapie unterziehen wird. Die anschließende Sicherungsverwahrung wird auf unbestimmte Zeit festgestellt.»
Richter Windhoeks Urteil bewegte sich innerhalb der Beweislage, die geltende Rechtsprechung ließ keine andere Entscheidung zu. Was aufseiten der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung wohlwollend zur Kenntnis genommen wurde, entfachte im Zuschauerraum empörtes Unverständnis. Pfiffe und Buhrufe mischten sich mit den lauten Vorwürfen der Angehörigen.
Frank de Meer nahm das Urteil mit Zufriedenheit auf. Er war der drohenden Einweisung in eine Justizvollzugsanstalt entkommen. Dort, wo er nun hinkam, fühlte er sich zu Hause. Der Umgang mit Psychiatern und Pflegepersonal würde ihm weit mehr Spielraum geben, als er im Gefängnis erwarten durfte. Er kannte ihre Methoden und Rückschlüsse genau. Insgeheim freute er sich bereits jetzt auf die erste Sitzung. Wer würde ihm entgegentreten? Wie stark müsste diese Person sein, um sich seinem Einfluss entziehen zu können, und wie lange würde er dafür benötigen?
Frank erhob sich von der Anklagebank. Er blickte in die protestierende Menge der Zuschauer. Bis
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