Wenn es daemmert
Darney wolle gleich am Morgen zur Polizei gehen, um eine Aussage zu machen. Arthur, sicher, dass Cedric Mina niemals finden würde, hatte sich nicht lange mit dem Sohn seines Gegners aufgehalten, sondern hatte sich sofort auf den Weg gemacht, um Lord Darney zu stoppen. Cedric hatte nicht damit gerechnet, dass Arthur so schnell an seinen Vater herankommen würde, wähnte er ihn doch unter Isobels Aufsicht. Aber Arthur musste ihn gefunden haben. Und das getan haben, was er immer mit den Menschen tat, die ihm im Weg waren: Er hatte ihn gezwungen, die Konsequenzen zu ziehen. Cedric hatte keine Ahnung, wie er das gemacht hatte. Wohl kaum, indem er Cedrics Leben bedrohte. Oder doch? Eine Antwort auf diese Frage würde er niemals bekommen. Denn nicht nur sein Vater, auch Arthur war spurlos verschwunden.
Und beiden war es nicht möglich, je wieder zurückzukehren, dafür hatte Cedric gesorgt. Er hatte sich nach Minas Befreiung mit Gavin West vom Scottish Independent zusammengesetzt und mit ihm in bester Enthüllungsjournalisten-Manier die Geschichte von Art Fisher und Lord Darney aufgerollt: die beiden großen Gangsterrivalen Schottlands und ihre Machenschaften. Wozu besaß sein Vater schließlich all die Zeitungen? Und wozu konnte sein Sohn schreiben? Es waren weniger Rachegefühle seinem Vater gegenüber, die ihn dazu veranlasst hatten. Cedric wollte vielmehr geraderücken, was sein Vater verschoben hatte: sein Weltbild. Er wollte so vieles wiedergutmachen und wusste nicht wie, außer durch die Wahrheit.
Eine letzte Wahrheit jedoch behielt er für sich: seine eigene Geschichte, die er nun doch nicht als Thema für die Abschlussarbeit seines Kurses genommen hatte. Er hatte sich auf Professor Scott besonnen, der ihm gesagt hatte, dass ein richtiger Schriftsteller mehr als nur seine eigene Geschichte in sich trug. Also hatte er alles verworfen und etwas ganz anderes geschrieben. In nur einer Woche war ein ganz neuer Text entstanden, und Scott hatte gestrahlt vor Glück über seinen begabten Schüler.
Seine eigene Geschichte blieb weiterhin unerzählt. Alles, was in Eton geschehen war, verschloss er tief in seinem Innern, ohne zu wissen, ob das gut für ihn war. Aber noch fand er nicht die richtigen Worte.
Cedric stand nun an der Promenade von Kirkcaldy, fror im kalten Herbstwind und sah auf das Wasser des Firth of Forth. Zu seiner Rechten sah er die Lichter Edinburghs. Der Sommer war endgültig vorbei, die Sonne schien längst nicht mehr bis in die Nacht hinein, wie sie es an Mittsommer getan hatte. Er sah Mina auf sich zukommen, gab ihr aber kein Zeichen. Vielleicht wollte er ihr die Gelegenheit geben, sich wieder umzudrehen und zu gehen. Aber sie kam weiter auf ihn zu und lächelte sogar, als sie ihn sah.
So belogen sie sich beide bei der Frage »Wie geht es dir?«, aber Cedric erkannte in ihren Augen, dass der Schmerz nicht mehr so groß war wie noch vor drei Monaten, und auch sie schien zu spüren, dass er sich verändert hatte.
Mina erzählte ihm, wie sie nach Dundee zum Haus ihres Vaters, den sie nun nicht mehr Vater nannte, gefahren war. Wie sie ihm die DVD wortlos hingehalten hatte und einfach nur abgewartet hatte, was er sagen würde. Er sagte, dass er in der Nacht zu Art Fishers Haus gefahren sei, um ihr zu Hilfe zu kommen. Er sei aber zu spät gekommen, die Polizei sei schon dort gewesen. Er sagte, dass er sie niemals im Stich gelassen hätte, dass es aber so schwierig mit seiner neuen Familie sei. Er sagte, er hätte noch nicht den richtigen Zeitpunkt gefunden und dass alles ganz anders gelaufen wäre, wenn ihre Mutter ihn damals nur geliebt hätte.
Mina hatte nichts dazu gesagt, nur zugehört. Dann war im Hintergrund seine Frau aufgetaucht, eine unscheinbare, aber auf ihre Art doch attraktive Frau, nicht viel älter als Mina selbst. Sie hatte ein kleines Mädchen an der Hand, und irgendwo im Haus hörte sie die Stimme eines anderen kleinen Mädchens. Die Frau starrte Mina mit einer Mischung aus Neugier und Misstrauen an. Sie fragte sich sicher, was es zu bedeuten hatte, dass eine fremde junge Frau vor der Tür stand und ihr Ehemann keinerlei Anstalten machte, die beiden einander vorzustellen, stattdessen aber nervös eine DVD in den Händen drehte.
Mina war ohne ein weiteres Wort gegangen, sie hatte es nicht fertig gebracht, James Cunningham in Gegenwart seiner Frau, im Beisein ihrer Schwestern, die sie nun nicht mehr Schwestern nannte, herauszufordern. Sein Gewissen würde ihm Strafe genug
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