Wer hat Angst vorm boesen Wolf
starrte in die Dunkelheit. Er drehte sich hin und her, und jedesmal, wenn er sich bewegte, spitzte Kollberg die Ohren. Es war zu heiß zum Schlafen. Sein Ausschlag juckte. Resigniert stand er auf, zog sich an und ging ins Wohnzimmer. Kollberg trottete hinterher. Sejer fragte sich, ob er wirklich einen Menschen so dicht bei sich haben wollte. Neben sich im Bett, jeden Morgen, Jahr um Jahr. Was würde Kollberg dazu sagen? Und zwei Rüden, das ging doch nicht.
»Machen wir einen Spaziergang?« flüsterte er. Der Hund bellte und lief zur Tür. Es war zwei Uhr nachts. Der Block ragte wie eine einsame Säule in die sternenlose Nacht hinein.
Sein erster Gedanke war, in die Stadt und zum Friedhof zu gehen. Aber das überlegte er sich anders. Er hatte ein schlechtes Gewissen, es war nicht zu fassen. Er hatte über solche Fälle gelesen. Er wußte, wie er sich verhalten müßte. Dann dachte er: Vielleicht sollte ich umziehen. Mir ein anderes Auto zulegen. Eine Art Strich ziehen. Vor und nach Elise. Ich komme nicht weiter. Etwas versperrt mir den Weg.
Er trug ein kurzärmliges Hemd. Die Nachtluft, die seine nackten Arme streifte, linderte den ärgsten Juckreiz. Er ging und ging, so, wie Errki gegangen und gegangen war.
Wer in der Welt leben will, muß sie lebendig machen, dachte er plötzlich. Er drehte sich um und starrte den Block an. Etwas an diesem Bauwerk, an dieser riesigen Säule aus grauem Beton mit ihren matten Fenstern berichtete von der Angst der Menschen. Ich will umziehen, dachte er, ich will zurück auf den Boden. Ich will im Gras stehen und zu den Baumwipfeln hochschauen.
»Wollen wir umziehen, Kollberg? Hinaus aufs Land?«
Die Augen des Hundes hingen an seinen.
»Du verstehst nicht, was ich sage, oder? Du lebst in einer anderen Welt. Aber wir haben es doch ganz schön miteinander. Auch wenn du ein Trottel bist.«
Kollberg schnupperte, glücklich an Sejers Hand. Sejer griff in seine Khakihose und fand einen vergessenen Hundekeks. Kollberg wußte nicht, warum er belohnt wurde. Aber er schluckte den Keks hinunter und wedelte eifrig mit dem Schwanz.
»Das Schlimmste ist, daß ich nie erfahren werde, wieso«, murmelte Sejer. »Was ist denn eigentlich zwischen ihnen vorgefallen? Was hat Halldis gesagt oder getan, womit hat sie ihm solche Angst eingejagt? Beide sind tot, und wir werden es nie erfahren. Allerdings ist es mit fast allem auf der Welt so, daß wir es nie erfahren. Seltsam, daß wir uns damit abfinden. Als würde weit vorn etwas auf uns warten, ein ganzes Leben, wo alles völlig anders ist und wo alles erklärt wird. Aber du, du Trottel«, er schaute den Hund an, »du wartest wohl nur auf die nächste Mahlzeit.«
Der Hund machte einen wilden Sprung und lief weiter.
»Ich bin müde«, sagte Sejer laut.»Wir gehen nach Hause.«
Er kehrte der Stadt den Rücken und ging zurück.
Er kehrte dem Friedhof den Rücken. In ihm tat alles weh.
SKARRE SAH ZUFRIEDEN AUS. Frisch geduscht und sommerbraun.
»Was ist denn mit dir los?« Sejer starrte ihn an.
»Nichts. Nur ein allgemeines Wohlbehagen.«
»Ach«, sagte Sejer. »Hast du was vom Labor gehört? Haben die die Fingerabdrücke verglichen?«
»Die von Errki sind überall, im ganzen Haus. Er hat sogar den Spiegel angefaßt. Bei denen auf der Hacke sind sie nicht so sicher, aber sie sind an der Arbeit.«
»Hast du das Verhör von heute nacht ins reine geschrieben?«
»Bitte sehr, Chef.«
Er reichte Sejer eine Plastikmappe voller Papiere und biß sich auf die Lippe.
»Was passiert mit dem Jungen?«
»Nicht viel. Morgan hat bestätigt, daß es ein Unglücksfall war. Vermutlich darf er in Guttebakken bleiben, was aller Wahrscheinlichkeit nach auch das beste wäre. Er hat fürs erste genug erlebt. Er braucht Ruhe und keinen weiteren Umzug. Ich gehe ihn jetzt holen. Er ist sicher nicht besonders in Form, aber ich habe eine winzige Hoffnung, daß er bei Errki etwas aufgeschnappt hat, etwas, das Morgan übersehen hat. Daß er etwas erklären kann.«
Skarre sah ihn lange an. »Ist das wahrscheinlich? Er ist ein verängstigtes Kind.«
»Kinder sind gute Beobachter«, erklärte Sejer fest.
»Nicht wirklich. Sie beobachten nur andere Dinge als Erwachsene«, widersprach Skarre.
»Und das kann uns weiterhelfen.«
Skarre runzelte die Stirn. »Etwas an dir ist seltsam.«
»Wie meinst du das?«
»Du scheinst das, was passiert ist, nicht akzeptieren zu können. Und das sieht dir überhaupt nicht ähnlich.«
»Ich bin nur neugierig«, sagte Sejer
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