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Wer nie die Wahrheit sagt

Wer nie die Wahrheit sagt

Titel: Wer nie die Wahrheit sagt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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und auch meiner.«
    »Ich verstehe das nicht, Lily«, sagte Savich mit seiner dunklen Samtstimme. »Du hast mir erzählt, dass du diese Tabletten kurz nach Beths Beerdigung genommen hast. Aber wieso denkst du gerade jetzt daran, während der Fahrt?«
    »Weil mir plötzlich klar wird, dass ich mich eigentlich nicht daran erinnern kann, die Tabletten genommen zu haben. Ist das nicht komisch?«
    »Sehr komisch. Erzähl weiter.«
    »Na ja, und da wird mir klar, dass ich damals nicht sterben wollte und jetzt auch nicht. Aber wieso diese Schuldgefühle, die mich fast auffressen? Was ist da in meinem Hirn, das mir sagt, ich soll direkt gegen einen von diesen dicken Bäumen fahren, auf dieser furchtbar kurvigen Strecke?«
    »Und – hast du die Antwort gefunden, Lily?«
    »Ja, hab ich.« Und das war alles. Sie seufzte tief und schlief ein.
    »Ist schon gut, Mr. Savich. Lassen wir sie ein bisschen ruhen, dann wecke ich sie auf, und wir können weitermachen. Wenn ich sie aufwecke, wird sie wieder ganz bei sich sein. Mal sehen, ob ich sie dann noch mal hypnotisieren muss.
    Wissen Sie, Mr. Savich, ich bin jetzt richtig neugierig geworden, was diesen ersten Selbstmordversuch betrifft, als sie all diese Schlaftabletten nahm. Vielleicht sollten wir uns das auch noch einmal näher anschauen.«
    »O ja, auf jeden Fall«, klang es begeistert von Sherlock.
    Doch sie mussten Lily gar nicht wecken. Es dauerte keine Minute, und sie wachte von selbst auf, schlug plötzlich die Augen auf, blinzelte und sagte: »Ich kann mich wieder an alles erinnern«. Sie lächelte Dr. Chu an und sagte dann zu ihrem Bruder: »Ich hab nicht versucht, mich umzubringen, Dillon, ganz bestimmt nicht.«
    Dr. Chu nahm Lily nun bei beiden Händen und beugte sich vor. »Erzählen Sie uns ganz genau, was passiert ist, Lily.«
    »Ich bin wieder zu mir gekommen. Auf einmal war ich wieder ganz klar und ziemlich entsetzt über das, was ich gedacht hatte. Dann wurde die Straße furchtbar kurvig und es ging steil nach unten. Ich merkte, dass ich viel zu schnell war, und stieg auf die Bremse.«
    »Und dann?«, fragte Savich und beugte sich gespannt vor.
    »Nichts geschah.«
    Sherlock flüsterte: »Ich hab’s gewusst, ich hab’s ja gewusst«.
    »Hast du gepumpt, wie es dir unser Vater beigebracht hat?«, wollte Savich wissen.
    »Ja, ich bin immer wieder sanft auf die Bremse gestiegen. Nichts. Da bekam ich furchtbare Angst und hab an der Notbremse gezogen. Ich weiß, dass die nur die hinteren Reifen bremst, aber ich dachte, dadurch würde ich zumindest langsamer werden.«
    »Sag nichts«, warf Savich ein. »Die Notbremse hat auch nicht funktioniert.«
    Sie schüttelte bloß den Kopf und schluckte heftig. »Nein, hat sie nicht. Ich geriet auf die andere Straßenseite, wo es tief runter in eine Schlucht ging. Da hab ich das Lenkrad rumgerissen, aber nicht zu weit, denn rechts von mir türmten sich all diese Redwoods auf, dicht, undurchdringlich. Ich war viel zu schnell dran, und es wurde immer steiler. Die Straße beschreibt an dieser Stelle mehrere Serpentinen, bevor es kurz vor Ferndale wieder eben wird.«
    »Hast du die Automatik auf ›Parken‹ gestellt?«, fragte Sherlock.
    »Ja, klar. Das Getriebe heulte und kreischte, als würde es jeden Moment zerreißen. Der Explorer wackelte und zitterte, und auf einmal waren alle Reifen blockiert. Ich geriet ins Schleudern. Ich versuchte noch, mit der rechten Seite die Bäume zu streifen, um langsamer zu werden, doch da kam schon die nächste Kurve. Da wusste ich, es ist aus mit mir.«
    Savich nahm sie ganz behutsam in die Arme und hob sie auf seinen Schoß; Dr. Chu ließ ihre Hand keinen Augenblick los. Lily lehnte sich erschöpft an ihn und ließ den Kopf auf seine Schulter sinken. Sie spürte Sherlocks Finger, die sanft ihr Haar streichelten. Gleich darauf holte sie tief Luft und berichtete weiter: »Ich erinnere mich ganz genau, wie ich voll gegen diesen Redwood knallte, wie mir in diesem Moment noch der Gedanke durch den Kopf schoss, dass dieser Baum seit mindestens hundert Jahren den schwersten Pazifikstürmen trotzt, mich aber wohl nicht überlebt. Und ich weiß noch, wie mir die Hupe im Ohr dröhnte, so laut, als wäre sie in meinem Kopf. Danach wurde alles schwarz.«
    Sie richtete sich auf und lächelte, ein wunderschönes Lächeln, selbstbewusst und voller Hoffnung. »Na, ist das nicht komisch, Dillon? Die Bremsen haben versagt. Wollte mich vielleicht jemand umbringen?«
    Da Dr. Chu noch immer ihre Hand hielt,

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