Felidae 8 - Göttergleich: Ein Felidae-Roman
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Keine Zeit, keine Zeit … Ich lief Sancta hinterher. Was heißt lief, ich sauste ihr hinterher, hechtete in die Küche, von dort in den Wohnungs- und dann scharf links in den Hausflur … Aber halt, Rückwärtsgang, den Film zurückspulen, die Zeit um ein paar Minuten zurückdrehen. Ja, ja, die Zeit. Namhafte Wissenschaftler behaupten, dass sie gar nicht existiert. Nur in unseren Köpfen tut sie es wohl. Wenn ein Hirn eine gewisse Dichte an Komplexität erreicht hat, scheint die Sache mit der Zeit unausweichlich zu sein. Andernfalls ist ein Handeln unmöglich. Die Wahrnehmung der Zeit stellt sozusagen ein notwendiges Übel dar, damit überhaupt etwas geschieht. In Wahrheit aber ist die Zeit quasi eine Erfindung unseres Gehirns. Wirklich ist sie jedoch nicht. Und sie läuft stets in eine Richtung, nämlich vorwärts. Wenn ich mich nicht arg täusche. ( 1 )
Wo war ich stehen geblieben? Ach ja: Rückwärtsgang. Also, ein paar Minuten bevor ich Sancta hinterherlief, streunte ich im Garten herum. Glotzte mal da und mal dort hin, schnüffelte mal an diesem und mal an jenem, verspritzte ein bisschen von meinem umweltfreundlichen Strahl zwischen die Büsche, was unsereins halt so tut,
wenn nichts Wichtiges anliegt und Entspannung angesagt ist. Die klare Sommersonne legte sich wie der frische Atem Gottes auf die Hinterhofgärten in unserem Gründerzeitviertel, fein säuberlich voneinander getrennt durch jahrhundertealte Ziegelsteinmauern. Vöglein zwitscherten um die Wette, Mäuse gaben sich der Illusion hin, dass sie unbemerkt von unseren Radaraugen noch ein ewiges Leben vor sich hätten, und die Äste der Bäume wiegten sich im lauen Wind mit leisem Rauschen. Ein Idyll!
Wie gedämpftes Grillenzirpen vernahm ich durch die offen stehende Küchentür die aus dem kleinen Radio neben der Spüle dringenden Nachrichten aus aller Welt, die mich in meinem gelösten Zustand so brennend interessierten wie Funksignale aus Andromeda. Gustav stand am Spülbecken und reinigte gerade unsere Näpfe. Ja, unsere , denn schon seit langer Zeit lebte ich nicht mehr allein beziehungsweise nicht mehr allein mit Gustav. Wie jeder Trottel, der nicht das Zeug hat, das eigene Leben vor sich herzutreiben, sondern sich vom Leben treiben lässt, hatte ich am Rand des Lebensweges so manch eine Herzensblume gepflückt und zu meinem Familienkreis hinzugefügt und dafür die Verantwortung übernommen. Nicht falsch verstehen – was wäre das Leben ohne Familie und die Verantwortung für ebendiese? Dennoch sehnte ich mich zuweilen nach der guten alten Zeit zurück, als es nur mich gab und die grenzenlose Freiheit um mich herum.
Junior, mein Sohn (jedenfalls der einzig mir bekannte), hatte sich schon vor Jahren selbst eingeladen und zu meinem Ärger bei uns breitgemacht. Auch wenn ich ihn mehr liebte als meinen Augapfel, so kokettierte ich bei seiner unerträglichen
jugendlichen Besserwisserei und seinen unentwegten naseweisen Kommentaren immer heftiger mit einem Aufenthalt in einem Kloster mit eisernem Schweigegelübde.
Dann war da Sancta, meine bessere Hälfte, wie man so sagt. Auch sie liebte ich über alles auf der Welt. Was blieb einem auch übrig, wenn man in Anbetracht ihrer smaragdgrünen Augen umgehend in die selbigen versank und sich darin verlor? Ganz zu schweigen von dem Anblick ihres herzförmigen Gesichts, der großen, hochgestellten Ohren, des schlanken Körpers mit dem gebogenen Rücken, der feinen, spitz zulaufenden silberblauen Haare und überhaupt ihrer gesamten feenhaften Erscheinung. Schließlich war sie eine Korat, was in die Sprache von Automobilisten übersetzt bedeutet, dass ich im Vergleich zu ihr irgendein klappriger grauer Mittelklasse-Wagen war und sie ein Porsche 911 Carrera S. Und um bei der Auto-Analogie zu bleiben: Natürlich mag sich der Sound eines Porsche-Motors für den Liebhaber wie die »Ode an die Freude« anhören, aber was mich betrifft, kann ich weder rund um die Uhr die »Ode an die Freude« noch den Sound eines Porsche-Motors ertragen. Oder anders ausgedrückt: Wenn man jeden Tag ein fürstliches Mahl zu sich nimmt, braucht man für die Verdauung doppelt so lange seine Ruhe.
Und natürlich war da auch noch Blaubart, mein bester und ältester Kumpel und ein Streuner vor dem Herrn. Er tauchte nur unregelmäßig bei uns auf, was vermutlich das Erfolgsrezept für eine ewige Freundschaft ist. Mit seinem struppigen, um nicht zu sagen schmutzigen Fell in den Farben eines Mülleimerinhalts, dem vor Urzeiten
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