Werke
spielt ihre goldne Flamme; denn als neulich eine Stelle gelesen wurde, ungefähr so lautend: »Ihr großen, seligen Geister, die wir bewundern und zu denen wir beten, wenn der Mensch sein Glück wegwirft, weil er es kleiner achtet als sein Herz, so ist er so groß als ihr!« und als in jedem Auge der Beifall glänzte, sprang sie auf, und in den schönen braunen Kindesaugen schimmerten die Tränen – sie stand neben mir und blickte mich liebeglühend an; ich war selbst tiefgerührt und wußte nicht, wie es geschah, daß ich sie an mich zog und voll Liebe meinen Mund an die Kinderknospe ihrer Lippen drückte – sie drückte heiß entgegen und schlang die Arme um meinen Nacken. Es war nur ein Moment, und gleich darauf stand sie, wie eine Purpurrose, glühend vor Scham da, die Tränen noch in den Augen. Uns allen schien sie in diesem Augenblicke kein Kind mehr zu sein. Ich war im höchsten Grade verlegen: da trat Lucie zu uns, nahm meine Hand und drückte sie recht herzlich, wahrscheinlich um Emmas und mein unschickliches Tun zu verschleiern; – dann küßte und herzte sie die Schwester und sagte wiederholt: »Du liebes, gutes, heftiges Kind, siehst du, welche Gewalt die Worte eines Menschen haben können? Und der, welcher diese sagte, und noch andere schöne, die in diesem Buche stehen, war ein einfältiger Pfarrerssohn aus Baiern, der Jahre lang ungekannt war und nichts hatte, als sein eigenes unerschöpfliches Herz, das nun auf die entferntesten Menschen und auf die entferntesten Länder wirkt, wie Predigten der Apostel und Propheten.«
Durch die Tränen schon wieder lächelnd, sagte Emma zu ihr: »Du selbst bist auch so eine Prophetin und kannst das Predigen nicht lassen, und denkst gar nicht daran, daß andere auch ein Herz haben, das seine Gefühle so gut hat, wie ihr alle, wenn man auch dieselben nicht so gelehrt sagen kann, wie ihr.«
Nach diesem Zwischenspiele lasen wir – Lucie war die Vorleserin – noch den Abschnitt zu Ende, und seit jenem Tage versäumt Emma keine einzige Vorlesung, ja, sie fing sogar an, Meßkunst zu lernen.
Nach solchen Abenden gehe ich dann im milden Vollmondscheine, den wir eben haben, mit einer fast unschuldigen, hochtönenden Seele durch alle möglichen Umwege in die Stadt zurück.
Zur Musik sind auch bestimmte Tage auserkoren. Daß aber da von keinem bloßen Herabschütten der Noten die Rede sein kann, begreifst Du; sondern da wird an das Pianoforte gesessen, jede Stelle des Tonstückes geprüft und um ihr Gefühl gefragt, wobei jedes seine Meinung abgibt, weil sie vorgetragen zu werden verlangt; dann forscht man nach der Seele des Ganzen und paßt ihr die Glieder an – dann so lange Proben, bis nicht mehr die kleinste Ausführungsschwierigkeit vorhanden ist – dann eines schönen Abends braust ein Beethoven durch die Fenster hinaus.
Einmal war schon volle Instrumentalmusik; meistens aber wird er vierhändig auf dem Piano vorgetragen.
Angela ist auch hier wieder die Meisterin, und behandelt das Instrument so kräftig wie ein Mann. Ihr Lehrer hierin war derselbe Mann, der sie auch in dem andern unterrichtete. Dann, wenn sie vor dem Instrumente sitzt, zieht ein neuer Geist in dies seltsame Wesen; sie wird ordentlich größer, und wenn die Töne unter ihren Fingern vorquellen und dies unbegreiflich überschwengliche Tonherz, Beethoven, sich begeistert, die Tore aufreißt von seinem innern tobenden Universum, und einen Sturmwind über die Schöpfung gehen läßt, daß sich unter ihm die Wälder Gottes beugen – – und wenn der wilde geliebte Mensch dann wieder sanft wird und hinschmilzt, um Liebe klagt oder sie fordert für sein großes Herz, und wenn hierbei ihre Finger über die Tasten gehen, kaum streifend, wie ein Kind andrücken würde, und die guten, frommen Töne wie goldene Bienen aus den vier Händen fliegen, und draußen die Nachtigall darein schmettert, und die untergehende Sonne das ganze Zimmer in Flammen und Blitze setzt – und ihr gerührtes Auge so groß und lieb und gütig auf mich fällt, als wäre der Traum wahr, als liebte sie mich: dann geht eine schöne Freude durch mein Herz, wie eine Morgenröte, die sich aufhellt – die Töne werden wie von ihr an mich geredete Liebesworte, die vertrauen und flehen und alles sagen, was der Mund verschweigt.
Solches Tun und solche Freuden reinigen das Herz. Wir stehen dann alle vier am Fenster, wie lauter Geschwister, die keiner Schranke gegen einander bedürfen, weil kein Wunsch da ist, eine zu überspringen,
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