Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
Sache war seltsam, absonderlich, ungeheuerlich. Es war aller Grund zur Aufregung vorhanden. All diese Gedanken gingen Herrn Goljadkin selbstverständlich nur ganz flüchtig durch den Kopf. Er selbst hatte die Empfindung, als ob er auf gelindem Feuer geröstet würde. Und das war sehr erklärlich. Derjenige, der Herrn Goljadkin jetzt gegenübersaß, war der, welcher Herrn Goljadkin gestern so erschreckt, geängstigt, gepeinigt hatte, mit einem Worte, es war Herr Goljadkin selbst, nicht jener Herr Goljadkin, der jetzt mit offenem Munde, die trocken gewordene Feder in der Hand, auf dem Stuhle saß, nicht jener, der als Gehilfe seines Tischvorstehers fungierte, nicht jener, der gern in der Menge untertauchte und verschwand, nicht jener endlich, dessen Gang deutlich sagte: »Tut mir nichts zuleide, dann werde ich euch auch nichts zuleide tun,« oder: »Tut mir nichts zuleide; ich tue euch ja auch nichts zuleide,« nein, dies war ein anderer Herr Goljadkin, ein ganz anderer, der aber gleichzeitig dem ersten völlig ähnlich war, von derselben Größe, von demselben Wüchse, ebenso gekleidet, mit einer ebensolchen Glatze; kurz, nichts, geradezu nichts war zur vollständigen Ähnlichkeit vergessen, so daß, wenn man sie nebeneinander gestellt hätte, niemand, entschieden niemand gewagt haben würde zu entscheiden, wer eigentlich der wirkliche Goljadkin und wer der falsche sei, wer der alte und wer der neue, wer das Original und wer die Kopie.
Unser Held befand sich, wenn dieser Vergleich möglich ist, jetzt in der Lage eines Menschen, über den sich ein Schalk lustig macht, indem er zum Spaß heimlich ein Brennglas auf ihn richtet. »Was ist das nun? Ist es ein Traum oder nicht?« dachte er; »ist es Wirklichkeit oder eine Fortsetzung des gestrigen Erlebnisses? Aber mit welchem Rechte geschieht eigentlich dies alles? Wer hat die Anstellung eines solchen Beamten gestattet? Wer hat dazu eine Berechtigung erteilt? Schlafe ich? Träume ich?« Herr Goljadkin versuchte ins klare zu kommen, indem er sich selbst kniff; er dachte sogar daran, dies mit irgendeinem andern vorzunehmen... Nein, es war kein Traum; das stand fest. Herr Goljadkin fühlte, daß der Schweiß stromweis an ihm herunterfloß, daß mit ihm etwas noch nie Dagewesenes, bisher Unerhörtes vorging, und daß dieser Vorgang, um das Unglück voll zu machen, eben wegen dieser Neuheit unschicklich war; denn Herr Goljadkin begriff und fühlte, wie nachteilig es war, bei einem Vorgange, der in dieser Weise den Spott herausforderte, das erste Beispiel zu sein. Er begann endlich sogar an seiner eigenen Existenz zu zweifeln, und obgleich er vorher auf alles vorbereitet gewesen war und selbst gewünscht hatte, daß seine Zweifel auf irgendeine Weise gelöst werden möchten, so war ihm das Eintreten dieses Ereignisses selbst schließlich doch unerwartet gekommen. Der Kummer drückte ihn nieder und quälte ihn. Zeitweilig war er der Denkkraft und des Gedächtnisses völlig beraubt. Wenn er nach einem solchen Augenblicke wieder zur Besinnung kam, so merkte er, daß er mit der Feder mechanisch und bewußtlos über das Papier fuhr. Da er sich selbst nicht traute, so begann er alles Geschriebene nachzuprüfen; aber er verstand nichts davon. Endlich stand der andere Herr Goljadkin, der bisher still und friedlich dagesessen hatte, auf und verschwand zum Zwecke irgendwelcher Besorgung hinter der Tür, die in eine andere Abteilung führte. Herr Goljadkin blickte um sich; aber es war nichts zu bemerken; alles war still; man hörte nur das Kratzen der Federn, das Geräusch der umgeschlagenen Blätter und in den von Andrei Filippowitschs Sitze weiter entfernten Winkeln leises Gespräch. Herr Goljadkin blickte Anton Antonowitsch an, und da aller Wahrscheinlichkeit nach das Gesicht unseres Helden seine jetzige Stimmung widerspiegelte und mit dem ganzen Charakter des Vorgangs harmonierte, folglich in gewisser Beziehung sehr merkwürdig war, so legte der gutmütige Anton Antonowitsch die Feder hin und erkundigte sich in besonders teilnahmsvoller Art nach Herrn Goljadkins Gesundheit.
»Gott sei Dank, Anton Antonowitsch, ich ...« erwiderte Herr Goljadkin stotternd, »ich bin ganz gesund, Anton Antonowitsch; ich kann augenblicklich nicht klagen, Anton Antonowitsch,« fügte er in unsicherem Tone hinzu, da er diesem Anton Antonowitsch, dessen Namen er so häufig angebracht hatte, noch immer nicht ganz traute.
»So so! Und ich hatte schon geglaubt, Sie wären nicht wohl. Übrigens wäre das ja
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