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Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Dostojewski
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sich die Menschheit und verarmt, auch im Wesen der Nation ist es, absurd zu sein. Und wie jedes Individuum zwischen Ausdehnung und Einziehung schwebt, drängt es jede gesunde Nation bald zur Menschheit hinaus, bald wieder in sie selbst zurück. In sich selbst allein vertrocknet sie; sie muß immer wieder an der Menschheit Atem holen. Entfernt sie sich dabei zu weit von sich und verliert den letzten Faden, an dem sie dann wieder zur Beruhigung in sich selbst zurück kann, so zerrinnt sie. Individuen und Nationen sind gleich trügerisch, aber ein der Menschheit unentbehrlicher Trug, denn sie sind es, woran allein die Menschheit erscheinen kann. Es war der Irrtum des Rationalismus, dies zu verkennen. Indem er von der Nation absah, zog er dem Menschen, während er ihn über die Wolken zu heben glaubte, nur unter den Füßen den Boden weg. Die russischen Rationalisten werden Westler genannt. Dostojewski mußte, mit seiner tiefen Einsicht in die Zweifaltigkeit des menschlichen Wesens, ihnen notwendig widerstreben und geriet dabei in, die Gesellschaft der Nationalisten, die freilich die menschliche Natur ebenso mißverstehen, bloß auf der anderen Seite. Das Individuum wie die Nation lebt nur im Gleichgewicht von Expansion und Konzentration. Da es damals die Westler waren, die dieses Gleichgewicht störten, konnte Dostojewski, vor Angst, die losgerissen im Winde treibende Seele seines Volkes müsse verströmen und entdampfen, übersehen, daß sie, von den Nationalisten in die Enge getrieben, in sich ersticken muß. übrigens meint er, wenn er wider das Ausland für Rußland spricht, im Grunde stets einen anderen Gegensatz: den zwischen Verstand und Gefühl. Leben ist zu tief, um ausgedacht zu werden. Es setzt sich in Gefühl um, vor dem der Verstand ratlos steht; er kommt ihm mit seinen Wahrheiten nicht bei. Sie sind unbrauchbar zur Tat, sie bringen nichts hervor. Was uns tätig macht, wodurch wir bewegt und bestimmt werden, was in uns treibt, diese geheime Kraft gibt sich uns unmittelbar kund. Wir haben eine innere Notwendigkeit, die uns diese Handlung gebietet, jene verwehrt, ohne wahrnehmbaren Grund. Verletzen wir dieses Gesetz, so leiden wir noch in der Erinnerung daran; ihm zu gehorchen macht uns froh, selbst bei bösen Folgen für uns; insgeheim stimmen wir alle Goethes vermessenem Wort zu: »Lieber schlimm aus Empfindung als gut aus Verstand!« Dieses innere Gesetz läßt sich erst gar nicht mit uns ein, es fragt uns nicht erst, es wirkt, wenn wir uns genau beobachten, wie eine von außen uns zusprechende, uns anherrschende Stimme gleichsam eines höheren Genius oder des Geistes unserer Ahnen oder der Volksseele, wie man nun immer sagen will; als ein übermächtiges Wesen empfinden wir es. Erfahrung zeigt aber, daß in Menschen, die sich dagegen taub stellen, um lieber auf das Urteil des Verstandes zu hören, wirklich mit der Zeit diese innere Uhr verstummt; dann schlägt in ihnen gar nichts mehr, der Verstand kann es nicht ersetzen. In ihrer Not sehnen sich solche gewichtlose, unversicherte, jedem sinnlichen Eindruck wehrlos preisgegebene Menschen nach jener Festigkeit und Gewißheit der Entschließungen zurück, die der Intellekt nicht gewahren kann. An wen aber sollten sie sich da wenden als an die noch unverfehlten Schichten, die man das Volk nennt? Volk nennt man, was noch nicht vom Intellekt angefressen ist, was noch unverbrauchte Kraft hat, was noch unmittelbar aus der Empfindung lebt. Alle großen geistigen Krisen enden so immer mit einer Flucht ins Volk. (Dante! Goethe, Herder mit dem Sturm und Drang! die Romantik!) Natürlich geht der Intellektuelle, der den Rest seiner lebendigen Kraft vor dem Intellekt retten will, in das Volk, das er zunächst hat: in sein eigenes. So entsteht das Mißverständnis aller Nationalisten, der russischen, wie der deutschen, wie der lateinischen, als ob gerade nur in ihrem eigenen, in diesem einen Volk die Heilkraft verborgen wäre. Sie ist in allem Volk. Man läßt sich nur durch den Doppelsinn dieses Namens verführen, der bald das Ganze der Nation, bald den vom Intellekt unberührt, in seiner Empfindung unversehrt gebliebenen, das angeborene Gesetz bewahrenden Teil bezeichnet. Diesen muß der Intellektuelle finden, um zu gesunden. Der Franzose Gauguin findet ihn auf Tahiti. Richard Wagner erfrischt sich in Venedig mit Gondolieren. Dostojewski wundert sich in Florenz, wie sehr italienische Bauern seinen Russen gleichen. Daß es gemeine Leute sind, daß sie noch das

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