Werke
mich bückte, um es zurechtzubringen, glaubte ich aus dem dunkeln Raume unter mir ein Geräusch zu hören; ich horchte näher hin; es klang wie das Schluchzen einer Kinderstimme. – ›Lisei!‹ dachte ich; ›wenn es Lisei wäre!‹ Wie ein Stein fiel meine ganze Untat mir wieder aufs Gewissen; was kümmerte mich jetzt der Doktor Faust und seine Höllenfahrt!
Unter heftigem Herzklopfen drängte ich mich durch die Zuschauer und ließ mich seitwärts an dem Brettergerüst herabgleiten. Rasch schlüpfte ich in den darunter befindlichen Raum, in welchem ich an der Wand entlang ganz aufrecht gehen konnte; aber es war fast dunkel, so daß ich mich an den überall untergestellten Latten und Balken stieß. »Lisei!« rief ich. Das Schluchzen, das ich eben noch gehört hatte, wurde plötzlich still; aber dort in dem tiefsten Winkel sah ich etwas sich bewegen. Ich tastete mich weiter bis an das Ende des Raumes, und – da saß sie, zusammengekauert, das Köpfchen in den Schoß gedrückt.
Ich zupfte sie am Kleide. »Lisei!« sagte ich leise, »bist du es? Was machst du hier?«
Sie antwortete nicht, sondern begann wieder vor sich hin zu schluchzen.
»Lisei«, fragte ich wieder; »was fehlt dir? So sprich doch nur ein einziges Wort!«
Sie hob den Kopf ein wenig. »Was soll i da red’n!« sagte sie; »du weißt’s ja von selber, daß du den Wurstl hast verdreht.«
»Ja, Lisei«, antwortete ich kleinlaut; »ich glaub es selber, daß ich das getan habe.«
– »Ja, du! – Und i hab dir’s doch g’sagt!«
»Lisei, was soll ich tun?«
– »Nu, halt nix!«
»Aber was soll denn daraus werden?«
– »Nu, halt aa nix!« Sie begann wieder laut zu weinen. »Aber i – wenn i z’ Haus komm – da krieg i die Peitsch’n!«
»Du die Peitsche, Lisei!« – Ich fühlte mich ganz vernichtet. »Aber ist dein Vater denn so strenge?«
»Ach, mei guts Vaterl!« schluchzte Lisei.
Also die Mutter! Oh, wie ich, außer mir selber, diese Frau haßte, die immer mit ihrem Holzgesichte an der Kasse saß !
Von der Bühne hörte ich Kasperl, den zweiten, rufen: »Das Stück ist aus! Komm, Gret’l, laß uns Kehraus tanzen!« Und in demselben Augenblick begann auch über unsern Köpfen das Scharren und Trappeln mit den Füßen, und bald polterte alles von den Bänken herunter und drängte sich dem Ausgange zu; zuletzt kam der Stadtmusikus mit seinen Gesellen, wie ich aus dem Tönen des Brummbasses hörte, mit dem sie beim Fortgehen an den Wänden anstießen. Dann allmählich wurde es still, nur hinten auf der Bühne hörte man noch die Tendlerschen Eheleute miteinander reden und wirtschaften. Nach einer Weile kamen auch sie in den Zuschauerraum; sie schienen erst an den Musikantenpulten, dann an den Wänden die Lichter auszuputzen; denn es wurde allmählich immer finsterer.
»Wenn i nur wüßt, wo die Lisei abblieben ist!« hörte ich Herrn Tendler zu seiner an der gegenüberliegenden Wand beschäftigten Frau hinüberrufen.
»Wo sollt sie sein!« rief diese wieder; »’s ist ’n störrig Ding; ins Quartier wird sie gelaufen sein!«
»Frau«, antwortete der Mann, »du bist auch zu wüst mit dem Kind gewesen; sie hat doch halt so a weichs Gemüt!«
»Ei was«, rief die Frau; »ihr’ Straf muß sie hab’n; sie weiß recht gut, daß die schöne Marionett noch von mei’m Vater selig ist! Du wirst sie nit wieder kurieren, und der zweit’ Kasper ist doch halt nur ein Notknecht!«
Die lauten Wechselreden hallten in dem leeren Saale wider. Ich hatte mich neben Lisei hingekauert; wir hatten uns bei den Händen gefaßt und saßen mäuschenstille.
»G’schieht mir aber schon recht«, begann wieder die Frau, die eben gerade über unsern Köpfen stand, »warum hab ich’s gelitten, daß du das gotteslästerlich Stück heute wieder aufgeführt hast! Mein Vater selig hat’s nimmer wollen in seinen letzten Jahren!«
»Nu, nu, Resel!« rief Herr Tendler von der andern Wand; »dein Vater war ein b’sondrer Mann. Das Stück gibt doch allfort eine gute Cassa; und ich mein’, es ist doch auch a Lehr und Beispiel für die vielen Gottlosen in der Welt!«
»Ist aber bei uns zum letztenmal heut geb’n. Und nu red mir nit mehr davon!« erwiderte die Frau.
Herr Tendler schwieg. – Es schien jetzt nur noch ein Licht zu brennen, und die beiden Eheleute näherten sich dem Ausgange.
»Lisei«, flüsterte ich, »wir werden eingeschlossen.«
»Laß!« sagte sie, »i kann nit; i geh nit furt!«
»Dann bleib ich auch!«
– »Aber dei Vater und
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