Widerstand ist zwecklos
mal so übel ausgesehen. Wenn da nicht dieses irre Flackern in ihren Augen gewesen wäre. »Ab jetzt nennst du mich Mutti, sonst fliegt unsere Tarnung auf.«
Das war vor vier Stunden gewesen, und wenn ich in diesen vier Stunden eins begriffen hatte, dann, dass Widerstand bei Tante Babette - pardon, Mutti - völlig zwecklos war. Wenn ich überhaupt eine Chance haben wollte, mich jemals auf einer der gepolsterten Liegen mit Seeblick auszuruhen, dann musste ich mich in meine Rolle als Spionin fügen.
Und deshalb stöckelte ich nun, angetan mit der roten Pony-Perücke und einer riesigen Sonnenbrille, das Handy ans Ohr gedrückt, auf die Terrasse, während die Stimme meiner Tante: »Bergsteiger, bitte kommen, hier Textilmogul! Zielpersonen genau auf ein Uhr!« in meinen Gehörgang zischte.
»Ist es der Typ, der aussieht wie Sky du Mont?«, murmelte ich. Mein Blickfeld war durch die Ponyfransen ein wenig eingeschränkt. »Weißes volles Haar, schwarze Augenbrauen, imposante breite Schultern?«
»Ja, das ist er.« Tante Babette keuchte aufgeregt durch das Handy. »Wie sieht die Frau aus? Ich sehe nur den verdammten Sonnenhut. Und unerfreulich schlanke Beine.«
»Ähm. Norwegermuster«, sagte ich. Das war doch das Codewort für »Sie sieht viel älter aus als du«, oder?
»Das kannst du aus der Entfernung doch gar nicht sehen«, rief Tante Babette.
»Doch! Sie ist so was von Norwegermuster und Polokragen.« Ich konnte die Frau im Sonnenhut zwar nur im Profil erkennen, aber die Falten an ihrem Hals waren weithin sichtbar. Außerdem hatte sie ein fliehendes Kinn. Und eine schlechte Haltung.
Tante Babette genügte das natürlich nicht. »Du musst näher ran, ich will hören, was sie reden. Setz dich an den Nachbartisch, und sperr die Ohren auf!«
»Tante Ba…«
»Ich warne dich!«
»Alle Tische sind besetzt. Ich mach jetzt ein Foto mit dem Handy, und dann komm ich rauf und hole dich zum Abendessen ab. Heute steht Dorade auf der Menükarte, die magst du doch so gern. Mutti.«
»Wie kannst du in einem solchen Augenblick nur ans Essen denken? Direkt am Nachbartisch ist ein Stuhl frei.«
»Ja, aber an dem Tisch sitzt schon jemand.« Und zwar ein junger Mann, der einen Arm auf die steinerne Brüstung gelegt hatte und versonnen auf die sonnenbeschienene Wasseroberfläche des Sees schaute.
»Lächle ihn an, und frag, ob du dich zu ihm setzen darfst!«, kommandierte meine Tante.
»Das … trau ich mich nicht …«
»Stell dich nicht so an!«
Wie gesagt, Widerstand war zwecklos.
»Textilmogul unterbricht jetzt die Verbindung, bis Bergsteiger seine neue Position eingenommen hat.« Sie legte auf.
Mit einem Seufzer warf ich das Handy in meine Handtasche und schob mich zwischen den Stühlen bis zur Brüstung vor. Auch von nahem hatte Karl durchaus Ähnlichkeit mit Sky du Mont. Während seine Frau eher aussah wie diese pummelige Hausfrau aus der Lindenstraße, wie hieß sie noch gleich? Egal, sie war jedenfalls ganz klar Polokragen. Und ihr Parfüm roch penetrant nach Maiglöckchen.
»Entschuldigung - ist der Platz noch frei?«
Der junge Mann schaute zu mir hoch. Er hatte schöne braune Augen, und weil er nicht sofort antwortete, versuchte ich es noch einmal auf Italienisch. »Scusi, è libero questo posto?«
»Ja, setzen Sie sich ruhig.« Er lächelte und entblößte dabei zwei Reihen perfekter, weißer Zähne. Ich hatte aber keine Zeit, genauer hinzuschauen, denn kaum hatte ich mich niedergelassen, klingelte das Handy wieder.
»Gut gemacht, Bergsteiger«, sagte Tante Babette. »Worüber reden sie?«
Ich rückte meinen Stuhl zurecht und betrachtete Karl und seine Frau durch die dunklen Gläser meiner Sonnenbrille. Sie hatten jeder ein Glas Weißweinschorle vor sich stehen und schauten zum Eingang hinüber, als würden sie auf jemanden warten.
»Es herrscht Schweigen im Walde. Und auch wenn ich mich wiederhole: Norwegermuster!«, antwortete ich. »Können wir jetzt bitte Abend essen gehen?«
»Wo bleibt er denn nur?«, sagte Karl in diesem Augenblick. Auch seine Stimme hatte Ähnlichkeit mit der von Sky du Mont. Ich konnte durchaus verstehen, was Tante Babette so an ihm faszinierte. »Wir hatten doch sieben Uhr gesagt.«
»Sei doch nicht immer so ungeduldig mit deinem Sohn. Bestimmt muss er noch ein wichtiges Telefonat führen«, erwiderte Norwegermuster.
Karl stieß ein verächtliches Schnauben aus. »Mit wem denn?«
»Mit einer Frau. Mit einem Freund. Oder es ist was Berufliches. Vielleicht hat er einen neuen Job in Aussicht, aber wehe,
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