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Wie die Libelle in der Wasserwaage

Wie die Libelle in der Wasserwaage

Titel: Wie die Libelle in der Wasserwaage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Almut Irmscher
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hätte sofort Bescheid gewusst. Ich muss einen hochroten Kopf gehabt haben. Und ich zitterte zumindest innerlich wie Espenlaub. Niemand hätte mich ansprechen dürfen, ich wäre panisch davongerannt.
    An der Kasse bezahlte ich dann ein Päckchen Kaugummi. Die Kassiererin fertigte mich mit professioneller Höflichkeit ab. Schon war ich draußen. Unglaublich, es hatte geklappt!
    Mit der Zeit entwickelte ich eine kühle Routine. Meine kleinen Selbstbedienungsausflüge brachten gute Ausbeute. Lippenstifte, Nagellack, Eyeliner und Puderdöschen – der große Vorteil ist ja, dass diese Dinge so klein sind! Ich entwickelte mich zur Expertin für Make up und lernte, auch mithilfe meiner neuen Freundinnen, seine Verwendung an mir selbst zu perfektionieren. Denn mittlerweile behandelten sie mich deutlich besser. Das Geschäft lohnte sich für beide Seiten. Sie schminkten sich umsonst, ich war nicht mehr allein. Dass dieses Geschäft auf bipolarer Unehrlichkeit basierte, übersah ich geflissentlich. Es lebte sich nun deutlich einfacher.
    Und ich lernte von meinen Genossinnen. Ich studierte ihre Verhaltensweisen, ihre Koketterie, ihre Tricks und ihre kleinen Teufeleien. Ihre Manipulationen, ihre Durchtriebenheit und ihre aufgesetzten, mädchenhaften Schäkereien. Auch mein Äußeres veränderte ich. Ich stopfte die Faltenröcke in den Kleidersack und bestand darauf, meine Garderobe von nun an selbst zu bestimmen. Der Friseur setzte mit Strähnchen ein paar strahlende Highlights in meine aschblonden Haare und verpasste mir einen frechen Schnitt. So langsam erblühte aus dem mickrigen Mauerblümchen eine veritable Akelei.
    Mit kleinen Jobs wie Einkäufen für eine betagte Nachbarin, bei denen stets ein bisschen mehr als vorgesehen für mich heraussprang, weil ihre Augen nicht mehr so gut waren, verdiente ich mir das für meinen neuen Aufputz erforderliche Zubrot. Später nahm ich einen Schülerjob im Supermarkt an und verdiente dadurch regelmäßig hinzu. Außerdem hatte ich unbeschränkten Zugang zur Kosmetikabteilung. Das war ungeheuer praktisch.
    *
    Meine schulischen Leistungen waren immer so lala, nicht überragend gut, aber auch nicht übermäßig schlecht. Deshalb habe ich auch das Abitur geschafft. Aber eben nur geschafft. Keineswegs habe ich mit tollen Noten abgeschlossen. Dass das blöd ist, habe ich erst gemerkt, als es schon zu spät war. Ich habe nämlich irgendwann festgestellt, dass ich gerne Biologie studieren würde. Ein großartiges Fach. Was könnte spannender sein, als das Leben selbst, in all seinen Formen, seiner Vielfalt? Je mehr man darüber weiß, desto mehr wächst die Macht, die man über das Leben hat. Exponentiell, sozusagen.
    Aber da war dieser blöde Numerus Clausus. Wenn die mich nicht wollen, wenn die denken, sie können auf mich verzichten, nur weil mein Abidurchschnitt nicht so prickelnd ist, wenn die also nicht erkennen, was für ein verborgenes Bio-Genie in mir schlummert, dann können sie mich mal gern haben, sagte ich mir. Dann mache ich eben etwas anderes.
    Denn ich wirkte nur wie eine durchschnittliche junge Frau, davon war ich im Innersten überzeugt. In mir steckte doch noch etwas, ich war im Grunde viel besser als diese ganzen hirnstumpfen Hackfressen, die die Welt bevölkern, das wusste ich genau. Ich kann viel mehr, es muss sich einfach nur noch zeigen, was das ist. Und niemals habe ich den Glauben daran verloren, dass der Tag kommen wird, an dem es sich zeigt. Ich weiß es einfach. Da ist etwas in mir, das etwas Großartiges ist. Etwas Einzigartiges. Unbekanntes. Nie Gesehenes. Etwas schlicht Unbegreifliches, das auf seine Entdeckung wartet, wie ein Feldhase, der sich ins Gras duckt, während der Fuchs um den Waldrand lauert.
    Wie ich das herausfinden sollte, wusste ich nicht so genau. Ich hatte überhaupt keinen Plan, als ich mit der Schule fertig war. Nur, dass ich nicht wie meine Mutter werden wollte, das wusste ich. Meine Mutter ist ein eiskalter, überheblicher Fisch, eine Rechenmaschine. Sie hält sich für etwas Besseres, aber was genau das sein soll, kann sie vermutlich selbst nicht definieren.
    Meine Mutter war schon ziemlich alt, als ich geboren wurde. Fast vierzig, eigentlich ein Gruftie. Festgefahren und eingespannt im Leben, durch und durch an ihrem Platz verankert. Und dann tritt plötzlich so etwas Unordentliches wie ein Kind in ihr Leben. Sie hatte im Finanzamt gearbeitet, ein hübscher, sicherer Posten. Geordnet und übersichtlich. Zinseszins und Dreisatz, das konnte

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