Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)
könnten hinzufügen, dass wir uns hauptsächlich deshalb in die Arbeit stürzen, das kleinere Übel,
weil
die Muße ihre wahre Bedeutung als spontane Aktivität verloren hat und zu passivem Konsum degeneriert ist. »Man muss arbeiten«, schrieb Charles Baudelaire in seinen Tagebüchern, »wenn schon nicht aus Geschmack daran, dann aus Verzweiflung. Denn, alles auf eine letzte Wahrheit gebracht: Die Arbeit ist weniger langweilig als das Vergnügen.«[ 6 ]
Ein vierter Einwand wird in Form einer qualifizierten Verteidigung des Geldverdienens formuliert: Es stimmt schon, sagen die Kritiker, Geldverdienen ist nicht die edelste menschliche Betätigung, aber von den großen Zielen menschlichen Strebens ist es am wenigsten schädlich. Keynes hat es treffend ausgedrückt: »Gefährliche menschliche Triebe können durch Gelegenheiten für Gelderwerb und privaten Besitz in verhältnismäßig harmlose Kanäle abgeleitet werden, die, wenn sie nicht auf diese Art befriedigt werden können, einen Ausweg in Grausamkeit, inrücksichtsloser Verfolgung von persönlicher Macht und Autorität und anderen Formen von Selbsterhöhung finden könnten.« Doch er fügte hinzu, »für die Anregung dieser Tätigkeiten und die Befriedigung dieser Triebe ist es aber nicht notwendig, dass das Spiel um so hohe Einsätze wie gegenwärtig gespielt wird. Erheblich niedrigere Einsätze werden dem Zweck ebenso sehr dienen, sobald sich die Spieler an sie gewöhnt haben.«[ 7 ] Das ist genau unser Gegenargument. Wir wollen nicht das Geldverdienen verbieten, wie es in der Sowjetunion der Fall war, aber »das Spiel« sollte Regeln und Beschränkungen unterworfen werden, damit sich die Gesellschaft nicht vom guten Leben entfernt.
Der letzte und schwerwiegendste Einwand gegen unser Projekt lautet, es sei illiberal. Ein liberaler Staat, so haben uns John Rawls und andere gelehrt, vertrete keine positive Vision, sondern nur Prinzipien, die erforderlich sind, damit Menschen mit unterschiedlichen Vorlieben und Idealen harmonisch zusammenleben können. In der Politik eine positive Idee des guten Lebens zu verfolgen, sei definitionsgemäß illiberal, womöglich sogar totalitär. Wir werden diesen Einwand zu gegebener Zeit widerlegen; an dieser Stelle möge die Bemerkung genügen, dass ihm ein falsches Verständnis von Liberalismus zugrunde liegt. Über die meiste Zeit ihrer langen Geschichte war die liberale Tradition von antiken und christlichen Idealen wie Würde, Anstand und Toleranz durchdrungen. (Erinnern wir uns: »Liberal« bezeichnete ursprünglich das, was einem freien Mann angemessen war, eine Bedeutung, die in Wendungen wie »freie Künste« überlebt hat.) Im 20. Jahrhundert nahmen es prototypische Liberale wie Keynes, Isaiah Berlin und Lionel Trilling als selbstverständlich an, dass die Erhaltung der Kultur eine Aufgabe des Staates ist. Nur ein oberflächliches Verständnis von Liberalismus postuliert Neutralität gegenüber unterschiedlichen Auffassungen des Guten. Neutralität ist außerdem eine Fiktion. Ein »neutraler« Staat überlässt es einfach den Hütern des Kapitals, den allgemeinen Geschmack im Sinn ihrer Interessen zu manipulieren.
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Die vielleicht wichtigste intellektuelle Hürde, um ein gutes Leben für alle zu verwirklichen, ist aber die Wirtschaftswissenschaft selbst, oder vielmehr die tödliche Orthodoxie, die unter diesem Namen in den meisten Universitäten weltweit ihr Unwesen treibt. Ökonomen, so stand kürzlich zu lesen, untersuchen, »wie die Menschen
begrenzte
und
knappe
Ressourcen einsetzen in dem Bestreben, ihre grenzenlosen Begierden zu befriedigen«.[ 8 ] Die beiden kursiven Adjektive sind vollkommen überflüssig: Wenn die Begierden unbegrenzt sind, dann sind die Ressourcen im Verhältnis dazu definitionsgemäß begrenzt, unabhängig davon, wie reich im absoluten Sinn wir sind. Wir sind zu Mangel verdammt, aber nicht durch das Fehlen von Ressourcen, sondern durch die Extravaganz unserer Gelüste. Wie der Ökonom Harry Johnson es 1960 ausdrückte: »Wir leben in einer reichen Gesellschaft, die aber trotzdem in manchen Hinsichten darauf beharrt, zu denken und zu handeln, als wären wir eine arme Gesellschaft.«[ 9 ] Die Perspektive von Armut und mit ihr die Betonung von Effizienz um jeden Preis gehört fest zur modernen Ökonomie.
Das war nicht immer so. Adam Smith, der Begründer der modernen Wirtschaftswissenschaft, nahm an, unser angeborenes Streben nach Verbesserung würde irgendwann an natürliche und
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