Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)
seit dem Erscheinen der englischen Ausgabe im Jahr 2000 berücksichtigt werden. Ich möchte an dieser Stelle Frau Dr. Heike Specht von der Deutschen Verlags-Anstalt für ihre sorgfältige Betreuung der deutschen Ausgabe, Herrn Norbert Juraschitz für die Übertragung aus dem Englischen und dem St. Catharine’s College in Cambridge für die Gesellschaft der liebenswürdigen Kollegen und einen friedlichen Ort zum Nachdenken und Arbeiten danken.
Christopher Clark
Cambridge 2008
Vorwort
Die Frage, wie viel Macht der letzte deutsche Kaiser wirklich ausübte, wird unter Historikern seit langem lebhaft diskutiert. Wurde das wilhelminische Reich in den letzten Jahrzehnten durch ein System des »persönlichen Regiments« regiert? War es eine Monarchie aus echtem Fleisch und Blut, in der die Persönlichkeit und die Vorlieben des Souveräns maßgeblich die politischen Ergebnisse prägten? Oder wurde die Macht auf »traditionelle Oligarchien« und »anonyme Kräfte« übertragen, die einen inkonsequenten »Schattenkaiser« an den Rand des politischen Geschehens abdrängten? 1
Ein großer Teil der interessantesten Studien zu diesen Themen konzentrierte sich auf die Frage, ob der Begriff »persönliches Regiment« zu Recht auf die gesamte Herrschaft Wilhelms oder zumindest einen Teil angewandt werden kann. Die Diskussion um persönliche Herrschaft entflammte Anfang der fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts und flackerte bis in die achtziger Jahre hinein immer wieder auf, geschürt von analogen Debatten über das Wesen und die Verteilung der Macht innerhalb des nationalsozialistischen Regimes. Mittlerweile ist aus ihr eine eigene hochintellektuelle Metaliteratur hervorgegangen, in der entgegengesetzte Standpunkte zur Macht und zum politischen Einfluss Wilhelms II. klassifiziert, miteinander verglichen und bewertet werden. 2
Dieses Buch möchte die Diskussion um das »persönliche Regiment« keineswegs wiedereröffnen. So hilfreich die Diskussion auch war, indem sie die historische Forschung über Formen der Herrschaft mit allgemeineren Fragen zum Staatswesen des Reichs verknüpfte, so litt sie doch unter einer inhärenten Unsicherheit in puncto Definitionen. Das Schlagwort »persönliches Regiment«, das aus der wilhelminischen, politischen Polemik stammte, hatte damals für die jeweiligen Redner einen ganz anderen Sinn und hat eigentlich nie eine allgemein anerkannte oder konkrete Bedeutung erhalten – eine Tatsache, die den gelehrten Streit um die Anwendbarkeit des Begriffs auf die Herrschaft Wilhelms II. erheblich getrübt hat. Während sich die meisten Historiker, die den Begriff verwendeten, einig waren, dass er auf manche Teile der Herrschaft besser zutraf als auf andere, wurde kein Konsens in der Frage erzielt, wann denn das »persönliche Regiment« begann und wann es endete. 3 Bemerkenswerterweise verzichtet selbst John Röhl, einst der wohl eifrigste Verfechter des »persönlichen Regiments«, inzwischen auf den Begriff zugunsten verschwommenerer Konzepte wie »Königsmechanismus« und »persönliche Monarchie«. 4
Die vorliegende Studie konzentriert sich hingegen auf den Charakter und das Ausmaß der Macht des Kaisers, auf seine politischen Ziele und die Frage, was er wirklich erreichte, auf die Mechanismen, durch die er Autorität ausstrahlte und Macht ausübte, sowie auf die Schwankungen seiner Autorität im Verlauf der Herrschaft. Sie möchte die verschiedenen Formen von Macht, die Wilhelm auf mehreren Feldern ausüben konnte, ausloten, und zugleich die unzähligen Beschränkungen, auf die er dabei stieß. Das kaiserliche Amt war, wie wir sehen werden, kein Monolith, sondern eher eine lose Ansammlung von Funktionen (politische, diplomatische, religiöse, militärische, kulturelle, symbolische), deren wechselseitige Beziehung dynamisch und zu der Zeit, als Wilhelm II. den Thron bestieg, noch weitgehend ungeklärt war. Darüber hinaus sah sich der Kaiser gezwungen, sein Amt innerhalb eines überaus komplexen, politischen Systems auszuüben, in dem sich die Machtverhältnisse ständig veränderten. Das Amt des Kaisers war mit wichtigen Prärogativen der Exekutive ausgestattet, aber ob und auf welche Weise und mit welchem Erfolg er diese Vollmachten ausüben konnte, hing von Variablen ab, auf die er nur teilweise oder überhaupt keinen Einfluss hatte. Zudem stand sein Einfluss als politischer Akteur in einer komplexen und häufig nachteiligen Wechselwirkung mit seiner Autorität als öffentliche
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