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Wo wir uns finden

Wo wir uns finden

Titel: Wo wir uns finden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Findeis
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Nacht, die vor mir lag. Es gab nichts zu fürchten. Niemand würde uns finden.
    Mein Vater beginnt, Zeitungen auszutragen, anderthalb Wochen nachdem die Arbeit bei der Frau und dem Mann beendet ist. Um halb fünf in der Früh lädt ein Fahrer, den er noch nie gesehen hat, die beiden Stapel mit dem Gefrießer Tageblatt und der Friedberger Zeitung vor seiner Haustür ab; im Bett liegend, erwartet er bereits das Geräusch der auf die Treppe klatschenden Pakete. Der Motor des Transporters tuckert im Leerlauf, die Wagentür schlägt zu, der Mann fährt davon. Lange bleibt der Diesel in der Stille des Morgens zu hören. Mein Vater denkt an meine Mutter. Am Abend zuvor hat er im Supermarkt seinen ehemaligen Kollegen Eugen gesehen. Der »schöne Eugen« trug eine Sauerstoffmaske über Mund und Nase, eine Sauerstoffflasche hing von dem Gehwagen, an den er sich klammerte. Mein Vater dachte ans Fischerstüble, wo sie über Jahre dreimal in der Woche ein Bier zusammen getrunken hatten; an ein verregnetes Picknick auf dem Moldenberg mit meiner Mutter, Eugen und dessen damaliger Freundin. Mein Vater hat sich weggedreht und ist zur Fleischtheke gelaufen, wo er sich Koteletts aus dem Angebot einpacken ließ, und hat gedacht: Der Eugen ist doch fünf Jahre jünger wie ich; und sich vorgestellt, wie es sein wird, keine Luft mehr zu bekommen – wie ihm die Zehen und Finger blau anlaufen werden, wie er sich einen Hocker in die Dusche stellen muss, weil er nicht mehr lange genug stehen können wird. Und wie er das alles alleine tun wird. Zehn Minuten wird er brauchen, um die Treppe hochzusteigen am Abend, nach jeder Stufe eine Pause, in der er sich umdreht und zurücksieht in den Flur, wo seine Jacke an der Garderobe hängt und sein Paar Schuhe steht.
    Die Packen Zeitungen holt er nach drinnen, bevor er Kaffee kocht und sich anzieht. Er zittert am ganzen Körper vor Müdigkeit in der ausgekühlten Küche, bis er den ersten Schluck getrunken hat. Er hustet und holt tief Luft. Um fünf geht er los, lädt vorher die Zeitungen in den Einkaufstrolley, den er in einem unsortierten Ramschladen im Industriegebiet erstanden hat, nachdem er sein Auto verkaufte. Er kennt viele der Namen auf seiner Route. Die Leute aber wissen nicht, dass er ihnen die Zeitung bringt. Sie denken, es sei einer aus den Sozialbauten am Batschkaweg; dass sie damit bald recht haben würden, denkt mein Vater und steckt eine Ausgabe in den Briefschlitz seines Nachbarn und geht weiter. Die Dunkelheit zwischen den Straßenlaternen nimmt ihn auf und spuckt ihn ein paar Meter weiter aus, die Nachtluft riecht frisch wie klares Wasser, manchmal kann er vergessen, warum er die Arbeit macht, dann geht er aufrecht von Haus zu Haus, den Kopf erhoben. Hat er seine Route beendet, ist die Sonne aufgegangen. Er geht nach Hause – versucht, seine von der Druckerschwärze schwarzen Finger zu verbergen –, wo er sich zwei Spiegeleier brät und den Rest Kaffee aus der Thermoskanne trinkt, bevor er sich wieder ins Bett legt und mit schweren Augen im sonnenhellen Schlafzimmer liegt und wartet, bis das den Tag begrüßende Gezwitscher der Vögel ausdünnt und er noch zwei, drei Stunden schweißnassen Schlaf findet, aus dem ihn ein Klingeln an der Haustür weckt. Bevor er etwas denkt, ist er aus dem Bett gestiegen und nach unten gelaufen. Von meiner Mutter hat er geträumt und aus dem Traum ihre Präsenz behalten, als habe sie gerade erst den Raum verlassen, aber er denkt an mich, als er die Tür aufreißt, vor der niemand steht. Irgendwo klappern die Lamellen des Entlüftungsschachts einer Dunstabzugshaube. Der Geruch von gebratenem Fleisch in der Luft, es könnte Sonntag sein, so still ist es. Er weiß den Wochentag nur wegen der Zeitungen, auf denen das Datum abgedruckt ist. Mein Vater schwitzt, hustet und spuckt seinen Auswurf vor die Tür, bevor er sie zuwirft. Er stinkt, sein Schlafanzug ist feucht vom Schweiß, die Sonne scheint durch das Küchenfenster, und er hält sich die Hände vors Gesicht und muss kurz an die Frau denken, die Theresa heißt. Ihm ist nie der Gedanke gekommen, eine neue Frau für sich, eine neue Mutter für mich zu suchen. Sie wäre wie ein Haustier gewesen, das man seinem Kind kauft als Ersatz für ein verstorbenes. Lange betrachtet er sich im Badezimmerspiegel, dann seift er den Waschlappen ein und fährt in kreisenden Bewegungen über seinen Oberkörper, in den Achselhöhlen spürt er die Lymphknoten geschwollen unter der alten Haut. Das ockerfarbene Emaille

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