Wolfsblut
vor dem Einschlafen darüber nach, und sein letzter Gedanke war: Es läßt sich nicht leugnen, Bill ist fürchterlich trübselig gestimmt. Ich werd ihn morgen ein bißchen aufheitern müssen.
DRITTES KAPITEL
Heulender Hunger
Der Tag begann günstig. Kein Hund war in der Nacht verschwunden, und in besserer Stimmung begaben sich die Männer auf die Fahrt durch das Schweigen, die Dunkelheit und die Kälte. Bill schien die trüben Ahnungen der letzten Nacht vergessen zu haben und scherzte und spaßte sogar mit den Hunden, die um die Mittagszeit den Schlitten an einer schlechten Wegstelle umgeworfen hatten.
Die Verwirrung war fürchterlich. Der Schlitten war zwischen einem Baumstamm und einem ungeheuren Felsblock eingeklemmt und noch dazu um und um gekehrt. Die Männer waren gezwungen, die Hunde auszuspannen, und als sie sich über den Schlitten beugten, um ihn aufzurichten, bemerkte Heinrich, daß Einohr zur Seite schlich.
»Hierher, Einohr!« rief er ihm zu, indem er sich aufrichtete und nach dem Hund umwandte. Aber Einohr begann über den Schnee zu laufen, indem er die Stricke hinter sich herschleppte, denn auf der zurückgelegten Bahn stand die Wölfin und wartete auf ihn. Als er näher kam, wurde er plötzlich vorsichtig. Anstatt zu laufen, machte er kurze, zierliche Schritte und blieb dann stehen.
Er betrachtete sie aufmerksam und mißtrauisch, doch voller Verlangen. Sie schien ihm zuzulächeln, indem sie ihm die Zähne in mehr schmeichelnder als drohender Weise zeigte. Sie machte spielend ein paar Schritte auf ihn zu und blieb dann stehen. Einohr ging näher, immer noch auf der Hut, mit gespitzten Ohren, erhobenem Schwanz und den Kopf hoch in der Luft. Er machte den Versuch, sie zu beschnuppern, aber sie sprang scheu, wie spielend, rückwärts, und jedesmal, wenn er sich näherte, wich sie zurück und lockte ihn so Schritt für Schritt aus der Sicherheit der menschlichen Gefährten. Einmal, als ob eine unbestimmte Warnung ihm durch den Kopf geschossen wäre, blickte er sich nach dem umgeworfenen Schlitten, den Gefährten und den beiden Männern um, die ihm fortwährend zuriefen. Allein was auch immer in seinem Geiste vorgehen mochte, es wurde durch die Wölfin zerstreut, die auf ihn zukam, ihn einen Augenblick beschnüffelte und dann wieder scheu vor ihm zurückwich, als er sich ihr von neuem näherte.
Mittlerweile hatte sich Bill der Büchse erinnert, die eingeklemmt unter dem umgeworfenen Schlitten lag, doch bis Heinrich ihm geholfen hatte, diesen aufzurichten, standen Einohr und die Wölfin dicht beisammen, und die Entfernung war für einen Schuß zu groß.
Zu spät erst sah Einohr seinen Fehler ein. Bevor die Männer sehen konnten, was vorging, hatte er sich umgedreht und begann auf sie zuzulaufen. Plötzlich sahen sie, wie ein Dutzend hagere, graue Wölfe über den Schnee springend sich im rechten Winkel der Bahn näherten und ihm den Rückzug abschnitten. Augenblicklich verschwand die Scheu und die spielerische Laune der Wölfin. Wild knurrend sprang sie auf Einohr los. Er parierte den Angriff mit der Schulter und versuchte, da ihm der gerade Rückweg zum Schlitten abgeschnitten war, im Bogen dahin zu gelangen. Allein immer mehr Wölfe erschienen und nahmen die Verfolgung auf, während die Wölfin nur wenige Schritte hinter ihm her lief.
»Wo willst du hin?« fragte Heinrich plötzlich und legte die Hand auf den Arm des Gefährten. Bill riß sich los. »Ich kann das nicht länger mit ansehen«, sagte er. »Sie sollen keinen von den Hunden mehr haben, wenn ich’s verhindern kann.«
Mit der Flinte in der Hand sprang er in das Gebüsch neben der Bahn. Seine Absicht war klar genug. Er wollte den Bogen, den Einohr beschrieb, noch vor dessen Verfolgern berühren, und er hoffte, mit der Büchse in der Hand und im hellen Licht des Tages würde es ihm möglich sein, den Wölfen Furcht einzujagen und den Hund zu retten.
»Höre, Bill«, rief ihm Heinrich nach, »sei vorsichtig. Wage dich nicht zu weit vor!« Heinrich setzte sich auf den Schlitten und wartete, für ihn war weiter nichts zu tun. Bill war ihm gänzlich aus dem Gesicht entschwunden, aber er konnte Einohr sehen, wie er hin und wieder im Gebüsch oder hinter den Tannen verschwand und wieder zum Vorschein kam. Heinrich hielt das Schicksal des Hundes für hoffnungslos, und dieser schien sich seiner Gefahr vollkommen bewußt zu sein, denn er rannte in dem weiteren Bogen, während das Rudel Wölfe den innern und kleineren Kreis beschrieb.
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