Zärtlicher Hinterhalt
Bündel Briefe erhielten.« Er ließ sich von einem der Lakaien den Krug reichen.
Mrs. Burroughs nahm Hannah beim Arm. »Wir hatten nicht die leiseste Ahnung, dass unser lieber Junge Miss Tomlinson noch schrieb, nachdem sie die Grafschaft schon verlassen hatte.«
»Hast du die Briefe gelesen, Hannah?«, fragte Mr. Burroughs.
»Nein, Sir. Ich hatte noch nicht das Vergnügen.« Wobei Hannah nicht sicher war, ob es ein Vergnügen sein würde oder die schmerzlichste Erfahrung ihres Lebens.
»Aus den Briefen geht hervor, dass Henry deiner Mutter nachreisen und sie heiraten wollte.«
Keuchend atmete Hannah aus.
»Aber bevor wir es in Henrys eigener Handschrift gelesen haben, wussten wir nicht, dass Miss Tomlinson ein Kind erwartete.« Mr. Burroughs starrte in den braunen Schaum seines Ales. »Ich dachte, wir hätten die beiden aufgehalten, bevor … nun gut, offensichtlich war dem nicht so. Ich wünschte, der junge hätte es mir gesagt. Mutlos war er, getrunken hat er. Ich dachte, er müsse nur über seinen Liebeskummer hinwegkommen. Und dann so plötzlich gestorben.« Er nahm einen Schluck, schaute seine Frau an und zog ein makelloses Leinentuch aus der Tasche. »Ich wünschte, du würdest
einmal
daran denken, ein Taschentuch mitzunehmen, Alice!«
»Ja, mein Lieber.« Mrs. Burroughs tupfte sich die Wangen.
»Wenn wir von dir gewusst hätten, wir hätten dich und deine Mutter gefunden und sofort nach Hause geholt«, fuhr Mr. Burroughs fort.
Hannah schaute ihm direkt in die Augen. »Danke, Sir.« Für die deutliche Erklärung, dass sie ihre Enkelin haben wollten. Dafür, dass sie auch Mutter aufgenommen hätten.
Miss Minnie klopfte Hannah auf die Schulter. »Ich sehe, Sie haben unser liebes Mädel kennen gelernt«, sagte sie zu Mr. und Mrs. Burroughs. »Sie ist die feinste junge Dame, die man sich denken kann.«
»Aber selbstverständlich«, sagte Mr. Burroughs finster. »Schließlich ist sie unsere Enkeltochter, und demgemäß wird sie natürlich bei uns im Hause leben.«
»Oh, nein!«, schaltete sich Tante Ethel ein.
Hannah war verblüfft. »Aber … warum?«
»Weil es für unsere Enkelin unpassend wäre, auf Raeburn Castle in Diensten zu stehen.«
Die junge Dame überlegte, was sie antworten sollte. Mr. Burroughs betrachtete ihre Berufstätigkeit unmissverständlich als Schmach. Aber was sie die letzten Jahre über geleistet hatte, hatte ihr Selbstvertrauen und Eigenständigkeit beschert.
»Abgesehen davon, Hannah … du bist unverheiratet. Und du solltest nicht noch länger unterm Dach eines Junggesellen leben. Das wäre skandalös«, sagte Mrs. Burroughs mit ihrer weichen, damenhaften Stimme.
Jetzt war Hannah wirklich beunruhigt. Sie hatte immer nur an den Moment gedacht, wo sie ihren Großeltern gegenübertreten würde, und niemals daran, dass sie vielleicht ihr ganzes Leben zu erklären hätte.
Mr. Burroughs schien ihr Verstummen jedenfalls nicht aus der Fassung zu bringen. Er packte sie in einer brüsken Geste der Zuneigung bei den Schultern. »Du ziehst sofort zu uns um!«
Mrs. Burroughs tätschelte Hannah die Hand. »Ja, mein Enkelkind, du musst dich nicht mehr allein durchs Leben schlagen!«
Zum ersten Mal begriff Hannah, welchem Druck ihr Vater ausgesetzt gewesen war. Wenn er seine Eltern geliebt hatte, was zweifelsohne zutraf, dann musste es ihn schier zerrissen haben. Auch wenn Hannah die Entscheidung, die ihr Vater getroffen hatte, missbilligte, verstand sie sehr wohl, wie schwer es war, sich zwischen der Liebe zu einer Frau und der eigenen Familie zu entscheiden. »Ich fürchte, ich kann nicht mit Ihnen kommen und bei Ihnen leben. Irgendjemand muss sich um die Tanten kümmern … und … es gibt da auch noch andere Faktoren.«
»Ich wollte es dir eigentlich nicht sagen, weil es dein Gemüt vielleicht zu sehr belastet …« Ihr Großvater runzelte die Stirn und strich sich den Schnurrbart. »Aber dieser Kerl, der neue Lord Raeburn, ist möglicherweise kein guter Umgang.« Und dann platzte er schließlich heraus: »Ich erinnere mich, was man sich über seine zügellosen Jugendjahre berichtet. Außerdem ist er von bürgerlicher Herkunft. Und es heißt, er hätte seine Frau umgebracht.«
Hannah merkte endgültig, dass sie diese Geschichte einfach nicht mehr hören konnte. »Er hat seine Frau nicht umgebracht«, schnappte sie zurück.
»Jetzt aber, Hannah …« Ihre Großmutter schaute sie nachsichtig an, »Du musst deinem Großvater schon zutrauen, dass er in der Regel weiß, was das Beste
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