Zauberkusse
meinst du, soll ich Thekla bitten, dass sie sich umzieht?« Unsicher blicke ich meine Freundin an, die zweifelnd den Kopf hin- und herwiegt:
»Das halte ich für keine gute Idee.«
»Aber ich kann sie doch so nicht rumlaufen lassen.«
»Es wird dir nichts anderes übrig bleiben. Da kommen die ersten Gäste.« Sie nickt in Richtung Tür und ich fahre herum. Ein Adrenalinstoß durchläuft meinen Körper, als ich eine Gruppe von etwa zehn jungen Leute sehe, die gerade Anstalten machen, hereinzukommen.
»Nina, Vanessa«, brülle ich aus Leibeskräften, »da kommen die Ersten. Mach mal bitte …« … die Musik an, wollte ich gerade sagen, aber da erklingt schon die samtweiche Stimme von Ray Charles aus den Lautsprecherboxen. Ich werfe Nina einen dankbaren Blick zu, die sich jetzt von der Stereoanlage abwendet und mir den erhobenen Daumen entgegenreckt.
»Alles klar.«
»Super, und jetzt …« Aber da sind meine beiden Kellnerinnen schon auf dem Weg, jeweils mit einem Tablett in den Händen.
»Schon gut, alles in Ordnung«, meint Nina, die den Prosecco trägt, gelassen. »Jetzt entspann dich mal, wir werden das Kind schon schaukeln. Vergiss nicht, auch ein bisschen Spaß auf deiner eigenen Party zu haben, okay?« Damit wendet sie sich von mir ab und geht mit strahlendem Lächeln auf die Gäste zu, die sich neugierig umschauen. Ich kralle meine Fingernägel in den Unterarm meiner Freundin, die dabei einen jammervollen Laut von sich gibt, aber brav stillhält. Kaum haben sich die ersten Gäste mit ihren Gläsern und Schnittchen in einer Sitzgruppe niedergelassen, kommen auch schon die nächsten mit lautem Hallo herein. Und ich habe die Hexenkammer immer noch nicht gesehen.
»Herzlich Willkommen! Viel Spaß! Schön, dass ihr da seid«, mache ich meine Runde. Dann trete ich zu der Tür, hinter der Thekla verschwunden ist und drücke die Klinke hinunter. Abgeschlossen. So eine Frechheit! Ich rüttele ein wenig und klopfe schließlich leise an das Holz.
»Thekla, mach auf«, wispere ich und klopfe erneut, diesmal nachdrücklicher, bis sich der Schlüssel im Schloss umdreht und die Tür einen Spaltbreit geöffnet wird.
»Ja? Was denn, Liebes?«, fragt Thekla mich mit unschuldigem Augenaufschlag, während ich in den Raum hinter ihr spähe. Ein durchdringender, aber nicht unangenehmer Geruch nach Räucherwerk schlägt mir entgegen und mein Blick fällt auf einen flachen, marmornen Tisch, um den vier zierliche, lila Sessel platziert sind.
»Wann hast du das Zeug denn hier hereingebracht?«, wundere ich mich, woraufhin Thekla den Türspalt noch etwas verkleinert.
»Du darfst alles essen, aber nicht alles wissen«, zieht sie ein Zitat aus dem Hut, das ich das letzte Mal vor zwanzig Jahren gehört habe.
»Darf ich denn vielleicht jetzt endlich mal das Zimmer sehen?«, frage ich höflich und tue einen Schritt nach vorne. Natürlich gehe ich davon aus, dass sie mich jetzt endlich hineinlassen wird, aber sie versperrt mir den Weg. »Was soll das?«
»Ich eröffne um zehn und keine Minute früher.«
»Aber ich bin doch kein Gast, sondern deine Teilhaberin«, protestiere ich, »besser gesagt bist du meine Teilhaberin. Wir wollen ja mal nicht vergessen, wem der Großteil dieses Ladens gehört.« Aber Thekla bleibt unerbittlich.
»Sorg du nur dafür, dass die Leute genug zu trinken haben«, meint sie lächelnd und knallt mir die Tür vor der Nase zu. Na, da hört sich doch alles auf! Empört renne ich zu Loretta, um zu petzen, doch die zuckt nur gleichmütig die Schultern und kann all das gar nicht so schlimm finden.
»Lass sie doch. Ändern kannst du doch jetzt sowieso nichts mehr. Schau dich lieber mal um und freu dich über den Erfolg.« Tatsächlich, es ist gerade mal halb neun, der Laden ist schon halbvoll und immer mehr Leute treten durch den dunkelroten Samtvorhang herein. Gerade kommt die halbe Belegschaft des L’Auberge herein und mit lautem Hallo auf mich zu.
»Wie schön, dass ihr da seid«, freue ich mich und falle Julia um den Hals.
»Das ist ja toll hier«, meint sie und sieht sich begeistert um.
»Findest du wirklich?«
»Total klasse! Die anderen kommen nach Feierabend auch noch vorbei. Norbert hat uns das Versprechen abgenommen, die Party so lange am Laufen zu halten«, grinst sie vergnügt, da reißt mich schon Fabian, der Hilfskoch, in seine Arme:
»Super Laden, Luzie! Und wo gibt es was zu trinken?« Da erscheint schon Vanessa mit Prosecco-Nachschub und ich stoße mit meinen ehemaligen Kollegen an.
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