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Zuckerpüppchen - Was danach geschah

Zuckerpüppchen - Was danach geschah

Titel: Zuckerpüppchen - Was danach geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Hassenmüller
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Ich will nicht von ihm abhängig sein. Nicht auf ihn warten müssen, daß er mir das Insulin holt. Ich kann es alleine. Ich muß es alleine können. Sie drückte den Autoschlüssel so fest in ihre Hand, daß es schmerzte. Das half. Sie zog die Tür hinter sich zu und wankte zum Auto. Ich falle, dachte sie, oh Gott, ich falle auf die Straße. Noch zwei, drei Schritte — sie lehnte sich beinahe bewußtlos vor Angst gegen ihr Auto. Ihre Hand suchte den Türgriff. Geschafft. Sie ließ sich auf das Polster gleiten und schloß die Augen. Ihr Herz raste. Ob ihr Baby darunter litt? Hatte es jetzt auch Angst? Ist alles gut, mein Spätzchen, murmelte sie. Deine Mutter hat manchmal einen Tick. Hat Angst, alleine zu laufen. Du brauchst keine Angst zu haben. Ich werde immer für dich da sein. Ich werde dir immer eine Hand geben, wenn du sie brauchst. Ich möchte eine Hand haben, nur eine einzige Hand, die mich führt und mir den Weg zeigt, hatte die zwölfjährige Gaby gedacht. Sie hatte sich damals ins Gras gelegt und wäre am liebsten nie wieder aufgestanden. Eins wollte sie werden mit den summenden Insekten und dem kribbelnden Getier unter ihr. Schlafen und nie wieder aufwachen. Nie wieder Angst haben. Sie hatte noch immer Angst. Aber ihre Kinder sollten wissen, daß sie immer für sie da war. Daß für sie immer ihre Hand da war.
    Wie sie die Apotheke erreichte, wußte sie anschließend nicht mehr. Nur, daß sie es geschafft hatte.
     
    “Wir müssen den Kiefer öffnen”, sagte der Kieferchirurg und richtete sich auf. “Nur dann können wir die Wurzel und den Eiterherd darum herum vollständig entfernen.” — “Wie steht es mit der Narkose?” Gaby konnte vor Schmerzen kaum sprechen. “Ich bin im siebten Monat.” Dr. Schwenkert sah auf ihren dicken Bauch. Mißbilligend, wie Gaby glaubte festzustellen, aber einige schneidende Stiche in ihrem Kiefer ließen sie stöhnend die Augen schließen und in den Behandlungsstuhl zurücksinken. “Ein Problem, ja”, hörte sie Dr. Schwenkert von weit weg sagen. “Ich werde Ihren behandelnden Arzt anrufen. Mal sehen, was der Kollege akzeptabel findet.” Professor de Ruiter fand nur eine leichte, örtliche Betäubung zulässig. “Das Wohlsein des Kindes hat Vorrang. Das ist auch bestimmt im Sinne der Mutter.” Gaby nickte nur. Natürlich. Das Wohlsein des Kindes hat Vorrang. Vor einigen Tagen hatte sie “Vom Winde verweht” zum x-ten Male im Fernsehen gesehen. Die ungestüme Südstaatendramatik fesselte sie noch immer. “Für wen würdest du dich entscheiden”, hatte sie Hubert während der Geburtswehen der schönen Vivian gefragt, “für die Mutter oder das Kind? Ich meine als Ehemann oder als Vater.” Hubert hatte den Wirtschaftsteil seiner Zeitung kurz sinken lassen. “Frauen kommen und gehen”, hatte er scherzend gesagt, “aber Kinder, die sind ein Teil von dir.” Als er ihr betroffenes Gesicht sah, schüttelte er den Kopf. “Du wirst doch wohl wissen, wie ich das meine. Dafür kennst du mich doch gut genug.” Nein, sie kannte ihn nicht gut genug. Sie wußte nicht, wie er sich entscheiden würde. Tatsächlich hatte sie das Gefühl, so auswechselbar wie eins seiner Oberhemden zu sein.
     
    Eine neue Schmerzwelle raste durch ihren Kopf. Sie klammerte sich an den Lehnen des Stuhles fest, so daß sich ihre Fingerknöchel weiß und gespannt unter ihrer Haut abzeichneten. Hubert wartete im Wartezimmer auf sie. “Wird schon werden”, hatte er sie getröstet. “Hier in der Kieferklinik bist du in den besten Händen.” Sie hatte nicht geantwortet. Er hatte gut reden. Ihr tröstend über den Kopf zu streichen und zu sagen, es wird schon werden. Nichts schien ihm wirklich etwas auszumachen. Während sie im Auto vor Schmerzen nicht wußte, wie sie sitzen sollte, erklärte er ihr ausführlich, warum Nicky ihr am Tag zuvor eine verkehrte Auskunft gegeben hatte. “Wir gingen auswärts essen. Schließlich muß man den Leuten aus Übersee etwas bieten. Kantinenessen kommt für die Kolumbianer nicht in Frage. Gleichzeitig wollte ich noch etwas in der Stadt besorgen. Dafür habe ich ja kaum noch Zeit. Wie lange ich schon nicht mehr in einer Bücherei war...” Du liest ja außer deiner Zeitung und deinen Perry-Rhodan-Heftchen auch nichts, wollte Gaby antworten, aber sie schwieg. Es klang, als mache er sie persönlich dafür verantwortlich. Doch die durch ihren Kopf hämmernden Schmerzen schlugen jeden normalen Gedanken tot.
    “Ich spritze Ihnen eine leichte Betäubung”,

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